Donnerstag, 30. August 2018

1x1.

Heiliger Gral: Das Mischpult von King Tubby (1941-1989)
Das 1x1: Dub ist eine Spielart des jamaikanischen Reggae, bei der von fertigen Songs mittels Mischpult-Manipulationen Spuren teilweise oder ganz weggelassen werden; gewisse Sounds wiederum werden mittels Echo- und Hall-Effekten überbetont. So entsteht ein neuer Track bzw. eigentlich eine neue Art von Musik. Hat man sich einmal an die kargen Soundlandschaften und die schleppenden Grooves gewöhnt, ist das Level für weitere Entdeckungen geschaffen: Mitten in diesen an den Mond gemahnenden Szenerien befinden sich jede Menge Portale, mittels denen man überallhin reisen kann, in den unendlichen Kosmos oder sogar in andere Dimensionen (als Reisevorbereitung wird der Genuß entsprechender 420er-Technologie ausdrücklich empfohlen).


Der berühmte Reggae-Bassist Robbie Shakespeare hat das einmal sehr schön beschrieben: "...[It’s a music that] fuck up the head! It blow your mind like you dey ’pon drugs! It put you ’pon a different level, a different planet. You can feel like you’s a space man, sometime you might feel like you’s a deep sea diver. You can be like in an airplane in ten seconds, it make you feel anyway you want to feel." ¹

Die erste Dub-Aufnahme entstand durch ein Mißgeschick: Der Techniker eines Studios hatte bei einem bestellten Track auf die Gesangsspur vergessen - die unfreiwillige "Instrumentalversion" entwickelte sich schlagartig zum großen Hit bei den Veranstaltungen, bei denen die riesigen Sound Systems die tanzwütigen Jamaikaner unterhielten; und auch ökonomisch war diese Erfindung ideal. Die Studios ersparten sich neue Songs auf den B-Seiten ihrer Singles und die damaligen "Toaster" (DJs) begannen, die Instrumentalversionen dazu zu nutzen, um mittels Mikrofon für zusätzliche Stimmung unter dem Publikum zu sorgen.


Hier wurden nicht nur Blaupausen für den sich später in Amerika entwickelnden Rap geschaffen, auch die Produzenten der diversen Studios in Jamaika wuchsen über sich selbst hinaus. Sie gaben sich fantasievolle, aristokratisch oder wissenschaftlich klingende Namen wie Prince Jammy, King Tubby, Dub Specialist oder Scientist und wurden zu echten Sound-Pionieren: Wenn man sich die Mühe macht, genau hinzuhören, erkennt man in diesen oft recht krude klingenden Frühwerken des Dub so vieles, das sich später in der (westlichen) Pop-Musik etabliert hat.

Bunny "The Striker" Lee an den Reglern.
Man muß sich das bildlich vorstellen: Da saßen diese oft bitter armen Menschen in ihren engen, kochend heißen Holzverschlägen und schufen mit ihrem selbst zusammengelötetem Equipment grandios aufgetürmte, futuristisch klingende Soundscapes; so ziemlich alles, was damals mit unglaublicher Fantasie und Erfinderkunst auf Tonband bzw. auf Acetat (die legendären "Dubplates") gebannt wurde, klingt innovativer als die riesigen Studioproduktionen des Mainstreams in der heutigen Zeit.

                                        
Deswegen funktionieren auch (zumindest für mich) die meisten digitalen Dub-Produktionen der heutigen Zeit einfach überhaupt nicht - da fehlt eben dieser analoge, rauhe und unglaublich spacige Spirit, der damals (so ungefähr von der Mitte der 1970er- bis in die frühen 1980er-Jahre) in Jamaika vorgeherrscht hat. Es ist ein unglaubliches Glück, daß durch den damaligen globalen Siegeszug von Bob Marley im Westen ein großer Bedarf an Reggae- und Dub-Produktionen geherrscht hat; das gibt obsessiven Dub-Freaks wie eurem Bloghost die Möglichkeit, noch viele Jahre zu jagen und zu sammeln und dabei die allerwunderbarsten, erleuchtendsten Entdeckungen zu machen.

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¹ Veal, Michael: "Dub: Soundscapes and Shattered Songs in Jamaican Reggae", Wesleyan University Press, 2007

Wenn ihr da unterhalb auf den Link klickt (könnt ihr auch am Blog rechts oben machen) kommt ihr zu der ständig wachsenden Dub-Playlist eures Docteurs auf Youtube.

Puffer's Choice: Dub


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