Freitag, 17. August 2018

Die Farben des Lärms.

Der eine oder andere geneigte Leser dieses Blogs dürfte vielleicht schon einmal auf den Begriff ASMR gestoßen sein. ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response) ist eine relativ neue Definition und meint in etwa “Sinnesmassage” oder “Hirnorgasmus”. ASMR wird als Akronym im deutschen Sprachraum verwendet, es gibt keine offizielle entsprechende deutsche Übersetzung für den Begriff. ¹


Man kann es aber recht gut beschreiben: Bei manchen Menschen entsteht beim Hören von bestimmten Geräuschen und anderen auditiven Reizen ein Kribbeln auf der Haut, das sich vom Kopf her der Wirbelsäule entlang bis hin zum Gesäß ausbreitet. Beschrieben wird dieses Empfinden oft wie ein angenehmer Gänsehaut-Schauer, der jedoch länger andauert und intensiver wirkt. Die auslösenden Trigger dafür sind zum Beispiel Flüstern, leises Sprechen oder Singen oder das Geräusch, wenn man mit langen Fingernägeln einen Gegenstand berührt. Diese Art der ASMR-Videos hat es auf Youtube immerhin schon auf mehrere Millionen Videos und Millionen von begeisterten Abonnenten gebracht.

 (Hinweis: Unbedingt mit Kopfhörer anhören!)

ASMR scheint für viele stark verbunden mit dieser Art der Youtube-Videos zu sein – dabei gibt es das Phänomen schon viel länger, als es Youtube überhaupt gibt. Ich persönlich bin Anhänger einer ASMR-Variante, die ausschließlich mit “weißem Rauschen” zu tun hat: Meine Hirnmassage beginnt dann, wenn ich irgendwo ein Gebläse erwische, einen Ventilator, einen Heizlüfter. Wenn es dazu noch regnet und blitzt und donnert, befindet sich euer Bloghost quasi im Himmel. Dass man Glücksgefühle empfindet, wenn man einen warmen Luftstrom verspürt, könnte seinen Ursprung wohl in frühkindlichen Erlebnissen von Geborgenheit haben. Viele Menschen lieben zum Beispiel auch das Geräusch und das warme Gebläse eines Föns – ein berühmtes Beispiel ist der deutsche Musiker Herbert Grönemeyer, der gerne zugibt, die besten Songideen am Klavier zu haben, wenn er einen Fön zur Hand hat. ²


Analoge Ventilatoren und Föns sind natürlich the real thing – die Dauernutzung dieser Geräte ist aber selbstverständlich auch eine Kostenfrage. Günstiger ist es da schon, wieder auf Videos auszuweichen. Auf Youtube gibt es White Noise in allen Kombinationen für wirklich jedes Bedürfnis: Regen, Regen mit Donner, Regen mit Donner und Heizlüfter, alle Arten von Ventilatoren, Geräusche von Serverräumen, Geräusche von Zügen, Flugzeugen, ja sogar alle Arten von Landmaschinengeräuschen – die Möglichkeiten sind unendlich. Hier kann man sich je nach Intuition aussuchen, was einem Wohlgefühle bereitet. Man kann aber auch vorher schon ein bisschen Analyse betreiben – indem man sich mit dem “Grundstoff”, also dem Rauschen – ein wenig näher auseinandersetzt.

Photo von researchgate.net.
Die ganzen physikalischen Definitionen lassen wir dabei weg – es gibt eine Analogie, welche die ganzen Spektren des Noise recht gut veranschaulicht, nämlich die des Lichts: So, wie weißes Licht sämtliche Farben enthält, enthält weißes Rauschen sämtliche Frequenzspektren – auch die hohen Frequenzen. Man kennt dieses Geräusch von früher, wenn im Fernsehen KEIN Programm lief und das bekannte “Schneegestöber” am Bildschirm von einem lauten Rauschen begleitet wurde. Filtert man gewisse Frequenzen aus dem weißen Rauschen heraus, erhält man verschiedene Frequenzspektren, die je nach persönlicher Disposition als stressig oder angenehm empfunden werden – und diese werden mit verschiedenen Farben bezeichnet.

Rosa Rauschen: Pink Noise ist seit einigen Jahren das beliebteste Frequenzspektrum: Zum weißen Rauschen gesellt sich hier ein relativ prägnanter Basssound, der die hohen, “zischelnden” Spitzen abmildert. Regen ist ein perfektes Beispiel für rosa Rauschen; wegen seines beruhigenden, unaufdringlichen Klangs wird Pink Noise deswegen auch gerne zur Beruhigung schreiender Babys, aber auch für Menschen mit Einschlafproblemen und andererseits für Studierende zur Förderung der Konzentration empfohlen. ³

Braunes Rauschen: Brown Noise hat noch weniger Höhenanteile, wobei hier die tiefen und mittleren Frequenzen ungefähr gleich intensiv sind. In der Fachliteratur ist “Brown” übrigens keine Farbzuordnung, sondern kommt von “Brownian Motion”, benannt nach einer spezifischen Art in der sich Partikel in einer Flüssigkeit bewegen. Braunes Rauschen erinnert am ehesten an starken Wind oder an das Geräusch, wenn große Wellen eines Ozeans heranbranden.

Blaues Rauschen: Blue Noise sei hier nur der Vollständigkeit halber genannt; hier sind nämlich ausschließlich hohe Frequenzanteile enthalten. Man verwendet dieses Spektrum zum Beispiel in Aufnahmestudios, um etwaige Übersteuerungsspitzen eines aufgenommenen Songs im Nachhinein abzurunden.

Grünes Rauschen: Durch die hauptsächlich mittleren Frequenzanteile wird Green Noise gerne zur Simulation von Umgebungsgeräuschen in der Natur verwendet.

Graues Rauschen: Das ist das Spektrum, mit dem sich euer Bloghost am wohlsten fühlt; hier kommen hauptsächlich tiefe Frequenzen zum Einsatz. Das ist der Sound riesiger Ventilatoren, wie sie in der Industrie verwendet werden. Musikalisch ist Grey Noise essentiell für die Komposition sogenannter Drones.


Ein rein theoretisches Konzept ist übrigens “Black Noise”: Die Abwesenheit sämtlicher Signale würde totale Stille bedeuten – etwas, das auf der Erde nirgends möglich ist (ich habe im ersten Artikel der ASMR-Serie darüber geschrieben).

Mit dieser groben Einteilung sollte es für den neugierigen Hörer also möglich sein, den perfekten Lärm für sich zu finden. Was man damit anstellt (den Tinnitus maskieren, leichter einschlafen, sich besser konzentrieren können etc.) bleibt jedem selbst überlassen. Für die im vorigen Artikel beschriebene Pareidolie, die recht spannende Audiophänomene wie Stimmen und “geisterhafte” Musik auslösen kann, empfehle ich eine Kombination aus verschiedenen Sounds und zur Empfindungssteigerung den Genuss diverser rauschhafter Substanzen.


***

¹ https://de.wikipedia.org/wiki/Autonomous_Sensory_Meridian_Response

² Antenne Düsseldorf: Fünf für Herbert Grönemeyer

³ http://time.com/4694555/pink-noise-deep-sleep-improve-memory/

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen