Montag, 25. Juni 2018

Cosmic Jazz, Fourth World & Melancholic Darkness.

Kamasi Wahington: Heaven and Earth / Young Turks, 06/18

Ein Loblied auf Kamasi Wahington zu singen, ist wie Eulen nach Athen zu tragen. Ist der sanfte Riese doch seit seinem Sensationsdebüt “The Epic” im Jahr 2015 sowas wie der Schutzheilige aller Stoner, die ihren Jazz frisch ausgelüftet und mit viel cooler Black Sexiness ausgestattet mögen. Wenn man auf dem Brainfeeder-Label des genialen Flying Lotus releast wird, kann man da sowieso nicht viel falsch machem, sorgt der Enkel der grossen Alice Coltrane doch seit vielen Jahren samt dem um ihm versammelten Kollektiv höchst talentierter Musiker in Los Angeles und anderswo für eine ständige Frischzellenkur - Hipness, Afro-Futurism galore & Geek-Wahnsinn inklusive. Und der Geist von Auntie Alice durchweht auch Kamasis neuen Release (wie schon die vorjährige EP “Harmony of Difference” auf Young Turks erschienen) wie betörendes Parüm. Das erzählt von dem erstarkenden Selbstbewußtsein afroamerikanischer Menschen gerade in Zeiten unglaublicher Repression seitens des weissen US-Establishments und vom Weltfrieden, dieser oftmals verlachte und doch so stark herbeigesehnte Begriff. In den 1970er-Jahren hat man, wenn man so grosse Friedens-Sehnsucht hatte, eine Impulse!-Scheibe aufgelegt. Heutzutage sagt Kamasi, bevor er loslegt, so Sachen wie “This is called 'A Space Travellers Lullabye'. I wrote it for all the Space Cadets and Daydreamers” und man möchte nichts anderes mehr hören als diese in alle Richtungen ausufernde, wahrhaft kosmische Musik.


Jon Hassell: Listening to Pictures (Pentimento Volume One) / Ndeya, 06/18

Jon Hassell ist vermutlich einer der Musiker und Komponisten, der mir neben Boards of Canada und Meat Beat Manifesto bis jetzt die allerglücklichsten kosmischen Abfahrten beschert hat. Ich nenne Hassell bewußt nicht im Jazz-Kontext, den da gehörte er für mich auch niemals hin. Aber in welches Genre eigentlich? Ich glaube, er hat die wunderbare musikalische Nische, die er besetzt, ganz aus sich selbst heraus erschaffen. Das beginnt schon bei seiner instrumentalen Hauptstimme, der Trompete. Mit normalem Jazzidiom hat diese nichts zu tun, hat Hassell doch Gesang bei dem indischen Lehrer Pandit Pran Nath studiert, und dies zur Basis seines absolut einzigartigen Spiels gemacht. Aber die Trompete ist sowieso nur das Zündobjekt dieses immer wieder in allen Regenbogenfarben explodierenden Soundbilds, das ein bisschen an “Weltmusik” erinnert, aber eben wirklich nur ein bisschen. Diese polyrhythmisch fliessenden, glitzernden Soundscapes machen absolut süchtig, so wie auf all seinen Releases zuvor. Jon Hassell ist mit seinen 81 Jahren nachwievor auf der absoluten Höhe seines Schaffens. Und ein neues Label, Ndeya, für seine zukünftigen Releases hat er auch gerade gegründet.



Herr Lounge Corps & Cadaverous Condition: The Breath of a Bird / Klanggalerie, 04/18

Cadaverous Condition sind so ein Phänomen: Früher eine der rumpelig-verwitterten Institutionen des klassischen Death Metals österreichischer Prägung (think Pungent Stench, Disastrous Murmur, Disharmonic Orchestra) hat sich die Band (oder ein paar der Mitglieder, so genau lässt sich das für mich nicht nachvollziehen) inzwischen musikalisch in Richtungen entwickelt, die einem nur allerhöchsten Respekt abnötigen können. Seit einigen Jahren existiert hier zum Beispiel eine unfassbar gute Kollaboration von Cadaverous Condition mit Herr Lounge Corps. Dahinter verbirgt sich der Death in June-Kollaborator Miro Snejdr; und was diese fruchtvolle Zusammenarbeit hervorbringt, hat mich gerade beim neuen Release “The Breath of a Bird” wirklich sprachlos gemacht. Spätromantisch-elegante Klavierarpeggios und wehmütige Akkordeontöne treffen auf die gänsehaut-erzeugende Stimme des CC-Growlers Wolfgang Weiss - an den für mich als Genreschublade etwas fragwürdigen, weil unscharfen Begriff “Neofolk” (der für CC auch eine Rolle gespielt hat in der jüngeren Vergangenheit), erinnert irgendwie nur noch sehr wenig bis gar nichts mehr. Diese Musik gehört für mich eindeutig in die ehrwürdigsten Konzertsäle dieser Welt! Ein grandios melancholisch-tiefschwarzes Meisterwerk, welches man, einmal gehört, nie mehr vergessen wird. PS: Auf der CD befindet sich auch ein fantastischer Remix des US-Kultproduzenten GosT. Kann, soll und muß man auf Klanggalerie bestellen.

Mittwoch, 20. Juni 2018

Stoner-Mystik.

O menschliches Leben, du unglaubliches Rätsel! Mit Bewusstsein ausgestattet, dürfen wir uns in der einsamen Ecke des unermesslichen Kosmos auf unserem Mini-Planeten selbst erkennen und uns eine gewisse Zeit lang der größtenteils illusionären Natur unseres “freien Willens” hingeben, bevor wir früher oder später wieder in unsere Bauteile zerfallen.


Das wäre eigentlich schon Wunder genug (Richard Dawkins würde mir da sicher beipflichten), unserem äußerst hartnäckig agierenden Bewusstsein reicht diese Tatsache aber natürlich keineswegs aus. Selbst Menschenwesen, die sich stolz das “Atheistenbanner” umhängen und mit der mechanistischen Erklärung unseres Universums vollkommen zufrieden zu sein scheinen – gerade die erwischt man oft bei ihren unbewussten Ritualen des magischen Denkens, gemeinhin auch Aberglaube genannt.


Und dann gibt es ja noch diejenigen, die zwar gerne an den lieben Gott glauben würden, den die Kirche erfunden hat – jenen, der wahlweise als zorniger Diktator oder weiser Opa mit Rauschebart über unsere Geschicke wachen soll. Da das Konzept “Religion” heutzutage aber nicht mehr so wahnsinnig populär ist unter des Denkens fähigen Menschen, muss man notgedrungen auf die abenteuerlichen Untiefen der “Spiritualität”, auch Esoterik genannt, ausweichen, um seinem Leben irgendeinen Sinn zu geben.

Solche und ähnliche Gedanken treiben mich um, wenn ich die mystisch angehauchten Songtexte meiner geliebtesten Stoner-Rock-Bands studiere. Dabei geht mir die “Esoterik” echt unheimlich auf den Nerv.


Das war aber nicht immer so: Auch euer Docteur war nämlich lange ein Anhänger esoterischer Theorien – denn auch er versuchte früher (so wie sein gesamtes damaliges Umfeld), sein Leben und die dazugehörenden Probleme zu meistern, indem er hauptsächlich mit “esoterischen” Umdeutungen stinknormaler, bedeutungsloser Ereignisse beschäftigt war und sich so ganz bequem jeglicher Verantwortung für eigene Handlungen entziehen konnte.



Jahrelange “Stammkundschaft” bei einem Homöopathen, der mir bei jedem Besuch wieder von Neuem freudestrahlend eröffnete, dass er nun endlich DAS Mittel gegen meine Probleme gefunden hätte? Check. Umherirrende Lichter von UFOs (die sich dann doch als Autoscheinwerfer am gegenüberliegenden Berg herausstellten)? I was there. Übernatürliche, nicht inkarnierte Meister, die via “Channeling” ihre Weisheiten verbreiteten? Ich warte heute noch auf eine Botschaft, die nicht schon längst irgendwo in einem Buch steht, das der “Channeler” ganz zufälligerweise vorher gelesen hat.



Ihr seht schon, die Bullshit-Liste ist endlos – in Richtung Absurdität gibt es da keine Grenzen; man sollte sie dann aber irgendwann definitiv für sich selbst ziehen. Bei mir trat mit meiner Frau zum Glück ein Mensch in mein Leben, der mir sozusagen ein wenig das Hirn durchpustete; für den wieder etwas nüchterner gewordenen Blick auf diesen ganzen furchtbaren Eso-Quatsch werde ich ihr ewig dankbar sein.


Photo by Diana Lungu - dianalungu.com
Falls man sich jetzt fragen sollte, was dieser Rant auf einem Blog über Musik zu suchen hat: Als aktiver Stoner und Die-Hard-Fan der entsprechenden Musik studiere ich ja wie gesagt die Songtexte meiner geliebten Stoner-Rock-Bands ganz genau. “Esoterik” gibt es in solchen Texten zur Genüge – allerdings, wie ich finde, immer sehr schön kreativ aufgearbeitet und poetisch sehr verbrämt. So sehr, dass Spiritualität zu Science Fiction wird und das finde ich dann eigentlich wieder sehr lässig und auch inspirierend. Mike Scheidt, der kürzlich wie Lazarus wiederauferstandene Frontmann der Kultformation YOB zum Beispiel hatte ja schon immer eine spirituelle Schlagseite:

All my life

Stared into flames

Of the gods

Of our god

Burning

In this dreaming unease

In my eyes

Colors wane in the halls

Hallowed halls Send my roots

Into unknown fields

(“In our Blood”)

Photo von metalinjection.net
Seit Scheidt allerdings im Spital nach mehreren Notoperationen Halluzinationen aufgrund schwerer Beruhigungsmittel hatte (Er sprach in Interviews vom Gefühl der “Entkörperlichung”, was man vermutlich auf diverse Präparate mit Ketamin-Anteilen zurückführen könnte. Die Presse machte daraus sofort ein Nahtod-Erlebnis), ist der selbsternannte Quantum Mystic bei seinen Texten aber überraschenderweise vergleichsweise realistisch geworden. Ein kleiner Auszug aus “Our Raw Heart”:

From holes in my gut

To love from miracles

Silver climbed the walls

Eyeless looking on

It’s looking still

Drawn by a mortal thread

To an ever shifting weave

Known better by my bones

Than my eyes can see

Shrine to a silent call

Beckoning my restless ghost

Photo von aminoapps.com
Ein anderer großartiger Stoner-Mystiker ist Al Cisneros, der legendäre Sleep-Bassist und Teil von OM, der (Nomen est Omen) “spirituellsten” Band im Metal-Umfeld überhaupt. Der Text zu “State of Non-Return” ist ein Traum für Mystik-Liebhaber:

Traveler now reach the stream. The astral flight adapter

From the pain-sheath life ascends - the Non-returner sees

Empathy release me - and the phoenix rise triumphant

And walks onto the certitude ground - the soul's submergence ends


From the rounds of rebirth - he arrives onto the deathless

Light bores through the adjunct worlds - the soul-galleon prevails

Liberates in wisdom to complete state of negation

The five roads subsumed by grace - emancipates from dream




Berichten diverser faszinierter Augenzeugen zufolge ist Cisneros eine absolute Legende, was den stetigen Konsum aller Arten von psychedelischen Rauschmitteln betrifft. Aber seien wir uns ehrlich: Die genialsten metaphysischen Songtexte wurden und werden noch immer unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Drogen verfasst. Nicht dass ich diese Methode jetzt propagieren wollte, aber diese Art von Stoner-Mystik ist mir heutzutage auf jeden Fall viel, viel lieber als Reiki, Aurafotografie, Rolfing, Channeling, Lichtarbeit, Familienaufstellungen oder Bachblüten.

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Mittwoch, 13. Juni 2018

Ladies and DJENTlemen.


Schöpfungsgeschichte eines Mikrogenres: Am Anfang war eine gewisse Band. Dann war da ein Stil und ein Slogan. Die Band hieß Meshuggah, kam aus Schweden und unterschied sich vom damals gängigen Schwedendeath durch extrem ausgefeilte und komplexe Rhythmus-Arrangements, die eher von afrikanischer Polyrhthmik oder vom Jazz inspiriert waren. Vor allem das Riffing von Gitarrist Fredrik Thordendal war stilprägend: seine extrem angezerrten Powerchords, kurz und hart angerissen und sofort wieder mit dem Handballen abgestoppt, entwickelten sich zu einem absoluten Markenzeichen.

Photo von meshuggah.net
Das Gesamtkunstwerk Meshuggah könnte man salopp mit einem Slogan zusammenfassen: Odd Time Signatures. Taktwechsel, Synkopierung, Stakkato und Polyrhythmik - Science Fiction-Musik von verrückten Wissenschaftlern, die sich mit Dreieck und Zirkel darangemacht hatten, bis dato unerforschtes Sound-Territorium zu erschließen. So entstand nicht nur der sogenannte "Math-Rock", sondern innerhalb dessen auch DJENT, das eingangs erwähnte Mikrogenre, dessen Name pure Onomatopoesie ist. Ein Witzbold namens “King Nothing III” hat sich beim entsprechenden Eintrag im Urban Dictionary die Mühe gemacht, das lautmalerisch zu veranschaulichen:

"Djent D-Djent D-D-D-jent D-D-jent D-D-D Djent Djent D-D-D-jent Duh Djent D-Djent D-D-D Djent D D-D-jent D-D-D Djent Djent D-D-D-jent Duh DJENT D-jent D-D-D Djent D D DJENT D-D-D DJENT DJENT D-D-D-JENT DUH DJENT (usw. usf.)" ¹

Und auch wenn das jetzt auch eher nach einem Gedicht des legendären Ernst Jandl klingt, erschließt es sich vielleicht mit dem passenden DJENT-Song.


DJENT -  ein Mikrogenre, von nerdigen Bedroom-Producern erdacht, die mittels Line 6 Pocket Pod und Drumcomputer ihrem Vorbild Thordendal nacheifern? Sicher ist DJENT auch das, aber natürlich nicht nur. Dieses Geruckle und Gezuckle dient schon seit vielen Jahren als Basis für ziemlich spacige Musik, deren Protagonisten sich irgendwo zwischen Progressive, Math-Rock bzw. Mathcore und Technical Death-Metal bewegen. Und was kommt dabei heraus? Jazz, aber in so dermassen abgefahrener Art und Weise, daß puristische Jazz-Fans sowieso sofort einen Drehschwindel bekommen würden.


Damals, in den 1990er-Jahren (oh, das güldene Metal-Jahrzehnt!) war ich ein Die Hard-Fan der niederländischen Band Pestilence. Was sich nämlich 1991 auf deren Release “Testimony of the Ancients” ankündigte, um dann auf dem mega-erfolglosen Album “Spheres” zur Vollendung zu gelangen (auch zum tatsächlichen Ende: die Band löste sich kurz darauf für viele Jahre auf) war für mich nichts weniger als Heavy Metal Jazz, mit sperrigen Songs, abgefahrenen Solos, ultra-komplexen Rhythmen und textlicher Poesie weitab der Gore-Klischees, in denen sich vor allem der Death Metal jener Zeit erschöpfte.


Auch wenn Pestilence nach ihrer Reunion im Jahr 2009 zwar zu einstiger Härte, aber niemals wieder zu einstiger Genialität zurückgefunden haben, ist das absolut zu verschmerzen. Denn war diese Band in den Nineties vielleicht auch über das uns bekannte Sound-Universum hinaugewachsen, sind Progressive- und DJENT-Bands wie TesseracT, The Contortionist oder Animals as Leaders (um nur ein paar wenige zu nennen) seitdem noch viel weiter hinausgegangen und haben jede Menge bis dato unsichtbarer Dimensionen erforscht und zugänglich gemacht. Die Generation danach wiederum erforscht vielleicht schon das musikalische Äquivalent der Dunklen Materie. Es hört niemals auf.



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¹ zitiert von https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Djent
Hier gibt es auch eine viel ausführlicherer und technische Definition des Genres und einige DJENT-Witze zu finden (echt!)

Dienstag, 12. Juni 2018

Der traurige Geist von Fleetwood Mac.


In der Geschichte des Rock gab es das immer wieder: Geniale Musiker, irgendwann so plemplem, daß sie untragbar wurden und aus den Bands, deren Stars sie waren oder die sie teilweise sogar gegründet hatten, entfernt werden mussten. Syd Barrett zum Beispiel, der exzentrische und visionäre Pink Floyd-Gitarrist, wurde von seinen Bandkollegen nicht mehr zu den gemeinsamen Konzerten abgeholt, nachdem LSD ihn zu einem lebenden Zombie gemacht hatte (David Gilmour war da schon heimlich als Ersatz engagiert worden).

Syd Barrett (1946-2006)
Oder Brian Jones, arroganter und schillernder Sixties-Paradiesvogel und Gründer der Rolling Stones: 1969 besuchten Jagger und Richards ihn in seinem Landhaus und verkündeten ihm seinen Rausschmiß (wenig später fand man Jones ertrunken in seinem Swimmingpool).

Brian Jones (1942-1969)
Alexander "Skip" Spence, ein besonders tragisches Beispiel: Der geniale Moby Grape-Gitarrist, der außerdem als Schlagzeuger bei den damaligen Superstars Jefferson Airplane eingestiegen war, ging mit einer Feueraxt auf seine Kollegen los und verbrachte den Rest seines kümmerlichen Lebens wahlweise in Heimen für psychisch Kranke und auf der Straße. Zwischendurch stieg er der Legende nach auf sein Motorrad und fuhr im Anstaltspyjama nach Nashville, um sein einziges Soloalbum “Oar” aufzunehmen (quasi der heilige Gral für Vinylsammler). ¹

Alexander "Skip" Spence (1946-1999)
Oder Richey Edwards, Gitarrist und signifikanter Ideengeber der Manic Street Preachers, der eines Tages im Februar 1995 spurlos in London verschwand - zu jener Zeit war er für die Band aufgrund seiner Depressionen und Self-Harm-Tendenzen bereits untragbar geworden. Im Jahr 2008 wurde er zwar offiziell endgültig für tot erklärt, erst im Februar dieses Jahres hat seine Familie allerdings wieder einmal eine Untersuchung der Umstände gefordert, unter denen Edwards verschwunden ist.

Richey Edwards (1967-1995?)
Vor wenigen Tagen las ich vom Tod Danny Kirwans. Den werden vermutlich nur die wahren Pop-Nerds unter euch kennen - Kirwan war ein paar Jahre lang enorm einflussreich bei Fleetwood Mac, als Gitarrist und nach dem Wegfall von (zunehmend dem Wahnsinn verfallenen) Peter Green auch als einer der Hauptsongwriter, bis er 1972 ebenfalls wegen seines Alkoholismus und enormer psychischer Probleme gefeuert wurde.

Danny Kirwan (1950-2018)
Das hat Kirwan nicht verkraftet. Nach drei erfolglosen (und kreativ uninteressanten) Solo-Alben verschwand er in der Versenkung und begann seinen unaufhaltsamen sozialen wie gesundheitlichen Abstieg. Jahre später war er, wenn sein Name mal irgendwo in einem Artikel in der Presse auftauchte, the “sad, beautiful ghost of Fleetwood Mac”. ² Inzwischen obdachlos geworden, war es schwierig, ihn aufzufinden; zeitweise soll er auch nichts mehr über sein Mitwirken in einer der legendärsten Pop-Bands der damaligen Zeit gewusst haben. Die letzten Jahre verbrachte er wohl abwechselnd in verschiedenen Pflegeheimen.



Wenn Mick Fleetwood (anderes Urmitglied von Mac, mit erstaunlich wenigen psychischen Problemen) nun Danny Kirwan anlässlich seines Todes in einem Facebook-Posting als “leading force of Fleetwood Mac³ abfeiert, ist das natürlich mehr als bizarr, da sich viele Jahrzehnte offensichtlich niemand seiner ehemaligen Mitstreiter besonders um den vergessenen Gitarristen scherte; die Aussage hat aber davon abgesehen ihre absolute Berechtigung.



Denn Kirwan war keiner der damals üblicherweise über den Blues zum Rock gekommenen Gitarristen, er war eher an Folk und den dort verwendeten Open Tunings interessiert. Das verlieh seinem Sound eine ätherische, unwirkliche Qualität. Und die von ihm komponierten Songs besitzen auch jene ganz besonders britisch-magischen Zutaten, die Hörer in Scharen zu der Musik seines (weitaus prominenteren) Zeitgenossen Nick Drake hingetrieben haben.



Danny Kirwan, eine weitere der vielen “Casualities”, die Fleetwood Mac neben ihrer Musik auch immer irgendwie auszeichnen (die Anzahl der ehemaligen Bandmitglieder mit psychischen Problemen ist Legende, bis hin zum tragischen Selbstmord von Bob Welch im Jahr 2012). Als Bindeglied zwischen den klassischen Mac und der unschlagbaren Hitmaschine, als welche die Band später bekannt war, hatte er eine wichtige, wenn auch undankbare Funktion.

Es bleibt zu hoffen, daß die beiden extrem vergriffenen Fleetwood Mac-Releases “Bare Trees” und “Future Times” aus den frühen 1970er-Jahren neu aufgelegt werden, bei denen Kirwan federführend war. Im Zuge dessen gäbe es auch sicher noch den einen oder anderen unveröffentlichten Schatz aus den Archiven zu heben.

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¹ https://en.wikipedia.org/wiki/Oar_(album)

² zitiert aus: http://observer.com/2015/11/for-your-reconsideration-danny-kirwan-the-sad-beautiful-ghost-of-fleetwood-mac/

³ https://www.facebook.com/pg/realmickfleetwood/posts/

Samstag, 2. Juni 2018

Frühmorgendliche UFO-Tänze in Berlin.

Euer Bloghost urlaubt derzeit mit Gattin in Berlin – ein liebgewordenes Ritual quasi, das ich schon seit vielen Jahren betreibe. Berlin ist gut für fast alles: sich neu erdenken, den heimischen Mief ablegen, erdrückt werden von dieser unvergleichlichen Melange aus Geschichte, Subkultur, Chaos, Dreck und Coolness.


Bloß eines kann ich in Berlin wirklich nicht gut: schlafen. Das mag schon auch an meiner Disposition als Nachteule liegen, auch daran, das der infernalische Tag-und-Nacht-Straßenlärm an meinen Waldstille gewohnten Ohren und Nerven rüttelt. Aber es ist auch die vergleichsweise Annäherung an den Polarkreis, die den Nachthimmel nur wenige Stunden wirklich dunkel werden lässt (sofern die gigantische Lichtstreuung Berlins diesen Eindruck zulässt). Denn sobald ich aus dem Fenster blicke, ist schon wieder dieser verräterisch hellblaue Lichtschein zu sehen, und das bisschen angesammelte Müdigkeit vertschüsst sich in Richtung Neverland.


Foto von www.milla-club.de
So liege ich also um 06.00 früh oder später im Bett herum und vertreibe mir die Zeit mit – was wird es wohl sein – Musik. Ein besonders lieber und faszinierender Gast, wenn das Hirn nicht zur Ruhe kommen will und der Schweiß den Hals hinunter rinnt, ist Deb Demure, das geschlechtslose Alter Ego des – zumindest körperlich – in Los Angeles lebenden Musikers Andrew Clinco.


Foto von zero.eu
Der betreibt (seit einiger Zeit auch zusammen mit einem anderen, mysteriösen Wesen namens Mona D ¹) das über alle Maßen faszinierende Musik-Projekt Drab Majesty. Deren Musik und deren Aussehen muss man als Kind der 1980er-Jahre (welches ich ja bin) einfach sofort lieben, gar keine Frage. So richtig aufgefallen ist mir Deb Demure aber dann zum ersten Mal mit folgenden Worten (über den Song Egress, die instrumentale B-Seite der letzten Single "Oak Wood": “[It] is meant to serve as a faint departure or daydream; spaces I often find myself drifting to as a means of escape when disturbing thoughts cyclically plague my brain.[...] Making instrumental guitar pieces has always been an act of meditation and I hope if only for a brief moment, the listener can wander and lose themselves within the sonic imagery offered in this piece.” ²


Foto von thehundreds.com
Musikalische Strategien gegen Zwangsgedanken? Welcome to my world! Besonders faszinierend aber, dass Demure auch besonders von den gleichen seltsamen Randwelten angezogen zu scheint wie ich: seltsame Esoterik, UFO-Glaube, Verschwörungen, Outsider-Wissen. All dieses “Grenzwissen” im wahrsten Sinn des Wortes ist für uns eigenwillige Privatforscher nicht dazu geeignet, um es auf Glaubwürdigkeit abzuklopfen. Es fasziniert einfach unglaublich. Und inspiriert – zum Beispiel dazu, darüber wunderbare Musik zu machen. Oder gewisse Stilmerkmale in das eigene Universum zu übernehmen. Kurz gesagt: um damit zu spielen.


Hauptquartier von Unarius in El Cajon, Kalifornien (Foto von 4dperspectus.blogspot.com)
Der erste Release von Drab Majesty, “Unarian Dances” im Jahr 2012, war von der sehr super-obskuren Unarius Academy of Science inspiriert. Das ist der Kurzname einer 1954 in Kalifornien, USA (wo sonst) gegründeten Organisation (langer Name: “Universal Articulate Interdimensional Understanding of Science”). Diese bietet via gechannelter Botschaften diverser Alien-Entitäten ein sehr komplexes (und in deren Meinung auch) wissenschaftliches Erklärungssystem unserer Welt an: ein System mit unendlich vielen unsichtbaren Dimensionen, außerdem mit anderen, besiedelten Welten in unserem Sonnensystem und anderen Sonnensystemen.


Man könnte natürlich sofort urteilen, das sei eine UFO-Religion oder UFO-Sekte. Bloß haben die Unarier von jeher darauf bestanden, keine “religiösen” Merkmale zu haben; folgerichtig sind sie auch nicht als religiöse Organisation in den USA eingetragen, besitzen keine Ränge und sind strictly non-profit – soll heißen, sie finanzieren sich durch Spenden. Und sie haben vor allem in den 1980er-Jahren durch wunderbar absurde Videobotschaften geglänzt, die damals im lokalen US-TV zu sehen waren, und unseren Deb Demure wohl ein wenig ... “beeinflusst” haben dürften.



Sehr deutlich ist auch Demures Faszination für eine tatsächliche, nicht mehr existierende UFO-Sekte namens Heaven's Gate, deren geistiges Oberhaupt Marshall Applewhite sich samt seinem 38 Mitglieder zählenden “Away Team” im Jahr 1997 vergiftete, um auf den damals vorbeiziehenden Kometen Hale-Bopp zu gelangen (den hielten die nämlich für ein Raumschiff).


Die langwierigen Erklärungen von Heaven's Gate mittels Videobotschaft, in denen man den geistigen Verfall Applewhites klar und deutlich erkennen kann, zählen für diesen Bloghost zu einem unendlich oft angesehenen obskuren Schatz, wie es kaum einen zweiten gibt. Deb Demure scheint es ähnlich ergangen zu sein: In dem Song “39 by Design” des 2017er-Releases “The Demonstration” beschäftigt er sich auf eine Art und Weise mit dem tragischen Vorfall, die ich unglaublich sympathisch finde. Mit großer Empathie nämlich, aber auch mit ein bisschen Faszination, nämlich mit der Frage: “Did they beam you up into the lights in the sky?” ³


So liege ich also im Halbdunkel aus Handydisplay und Morgengrauen, lasse Deb Demure von möglichen anderen Realitäten in meine Ohren flüstern und tippe diesen Text in mein Handy. Bald ist es Tag und die Geschäftigkeit der 9-to-5-Menschen rund um mich herum wird diese zartviolette, melancholische, aber auch inspirierende Stimmung vertreiben. Bis zum nächsten Morgengrauen.

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Drab Majesty Bandcamp

Drab Majesty bei Dais Records

Unarius - Academy of Science 

Heaven's Gate - Original Website

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¹ Mona D (Alex Nicolaou) ist der Sohn des B-Movie-Regisseurs Ted Nicolaou, der 1974 als Aufnahmeleiter im Regie-Team des legendären "Texas Chain Saw Massacre" von Tobe Hooper war.

² https://www.daisrecords.com/collections/drab-majesty/products/oak-wood-7

³ der volle Text:

When you walked alone to leave your life at home 
You really wanted to die 
And if you hoped to hold the key to eternity 
You really wanted to die 
Can’t count your blessings saying goodbye 
Did you really watch your desires resign? 
In the case of a wandering eye 
And when you fell to Earth and lost the love to love 
You really wanted to try 
Can’t count your blessings saying goodbye 
39 by design 
Did they beam you up into the lights in the sky 
If you could take a polaroid of your life, would you cry? 
Would you make them stare into the whites of your eyes? (Eternal point of view) 
And when you came to turn the hands on the sands of time 
You really wanted to die 
And then you showed them how you felt It was so hard to break the spell 
You just wanted to die 
Can’t count your blessings saying goodbye 
Really just a roll of the dice 
When truth or lies will make you cry 
Really doesn’t make a lot of sense Too tense to recompense 
Really just a roll of the dice 
When truth or lies will make you cry 
Really doesn’t make a lot of sense 
The end we’ll all be cleansed