Dienstag, 18. September 2018

Diaspora mit Sly & Robbie.

Als zu Beginn der 1980er-Jahre der MIDI-Standard¹ eingeführt wurde, war der Jubel von Musikern und Produzenten grenzenlos. Endlich konnte man komponieren, ohne sich um eine echte “Band” oder gar ein “Orchester” kümmern zu müssen. Diese Reaktion ist vollkommen verständlich, da der Einzug der digitalen Technologie ökonomische Unabhängigkeit und grenzenlose Kreativität versprach.


Andererseits fragt man sich heute, ob damals die gesamte Musikindustrie vor Begeisterung auf ihren Ohren gesessen ist: Die digitalen Sounds sind natürlich nicht der geringste Ersatz für “echte” Instrumente, auch wenn man das damals geglaubt zu haben scheint.

Als Beispiel möge man sich hier einen kurzen Auschnitt von Frank Zappas posthum veröffentlichtem Doppelalbum “Civilization Phaze III” gönnen. Der geniale Performer und Komponist hatte zwar 1986 mit “Jazz from Hell” wirklich originelle Sounds aus seinem unleistbar teurem Synclavier herausgeholt, in den darauffolgenden Jahren jedoch auch kaum anzuhörende “Midi-Opern” komponiert. Heutzutage klingt das auch kaum mehr nach Zappa, sondern (wie viele andere Musikstücke aus jener Zeit, die digitale Technologien benutzten), eher nach einem Soundtrack zu einem 8-Bit-Videospiel.


Auch in Jamaika war es ab Mitte der 1980er-Jahre vorbei mit analog produziertem Dub. Die originellen Releases von Hopeton Overton Brown unter dem Namen “Scientist” markieren hier Höhepunkt und zugleich auch Endpunkt der Zeit der grossen Dub-Produzenten aus Kingston. Mit Dancehall wurde damals ein Musikstil populär, der den Fokus eher auf Vocals und die Performance des MCs legte als auf die Musik.


Gleichzeitig hatten auf der Insel ebenso Drumcomputer und digitale Soundbibliotheken Einzug gehalten, die es möglich machten, diverse Tracks in großer Geschwindigkeit ohne die legendären “Hausbands” unter das Volk zu werfen. Aus den dünnen neuen Sounds entstand dann auch gleich eine neue Spielart des Dub, die ich bis heute schlicht unanhörbar finde: der sogenannte Digidub. Nicht, daß ich gegen elektronische Sounds im Dub wäre, im Gegenteil; aber wenn statt der wuchtigen Drums und Bässe dünne Digitalsounds aus den Boxen fiepen - da mag das Soundsystem noch so groß und laut sein wie es will, Stimmung will da keine aufkommen.


Aber: Dub hat eine Eigenschaft, die ihn zu den ganz grossen, wichtigen Musikstilen des 20. Jahrhunderts gemacht hat - er hat die Fähigkeit, andere Musik zu durchdringen und nachhaltig zu beeinflussen. Als das “Mutterland” sich in den 1980er-Jahren vom Dub ab- und anderen Spielarten des Reggae zuwandte, war durch die Migration vieler Jamaikaner nach England dort längst eine eigenständige Reggae-Szene entstanden, und das betraf natürlich auch den Dub. Von Jah Shaka bis zu Adrian Sherwood, das Uk Dub-Thema ist zu riesig, um in ein paar Nebensätzen abgehandelt zu werden. Für diesmal soll die Anerkennung genügen, daß der Dub abseits seiner jamaikanischen Roots in Großbritannien erst so richtig aufzublühen begann, und seine verhallte Saat danach in alle Ecken und Winkel der Musik und der Welt ausstreute.

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Im folgenden ein paar prägnante Beispiele für Dub, der sich in die Populärmusik der vergangenen Jahrzehnte perfekt integriert und sie auf eine neue Stufe gehoben hat. Am besten demonstriert man das anhand von Sly Dunbar und Robbie Shakespeare, jenem legendären Gespann, das schon seit Urzeiten den Dub mit seinen zwei wichtigsten Elementen versorgt hat, Bass und Schlagzeug. Bei Sly & Robbie (aka “The Riddim Twins“) schnurrte diese Kombination immer schon wie eine perfekt geölte Nähmaschine und verwuchs so zu einer untrennbaren Einheit, die man quasi in fast jeden Musikstil importieren konnte.


Sly & Robbie haben mit allen Pop-Größen der Welt auf der Bühne und im Studio gespielt: Bob Dylan, Mick Jagger, The Rolling Stones, Joe Cocker, Serge Gainsbourg, Simply Red, Sting, Carlos Santana, Sinéad O'Connor (nur eine kleine Auswahl), sie haben Welthits produziert (“Hey Baby” von No Doubt, diverse Songs für Britney Spears oder sogar für Paul McCartney) und sie haben durch ihre spezielles Spiel so manchen Pop-Release auf einer andere Stufe gestemmt und zu Kult gemacht, z.b. als Rhythmusgruppe der schillerndsten Diva von allen, Grace Jones.


Unglaublich faszinierend sind Sly & Robbie im Jazz-Kontext. Die Supergroup des norwegischen Trompeters Nils Petter Molvaer mit den beiden Herren ist so ziemlich das aufregendste, was man seit langer Zeit in diesem Genre gehört hat; hier darf man sogar Vergleiche ziehen zu den wilden Bands von Miles Davis in seiner “elektrischen” Phase in den 1970er-Jahren.


Dieses unglaublich tighte Reggae-Gespann ist allerdings leider auch für ziemlich geschmacklose Releases verantwortlich - immer wenn die beiden Grammy-Gewinner auf der Welle des Erfolgs schwammen, versuchten sie natürlich, diesen auch mit diversen Werken unter ihrem Namen weiter voranzutreiben. Hier zeigt sich eben auch, das Sly & Robbie nicht besonders geschmackssicher sind. Umso wichtiger ist es, daß sich die in Ehren ergrauten Riddim Twins in die Hände eines besonderen Produzenten begeben.


Das haben sie zum Beispiel einmal in den 1990er-Jahren getan; mit einem, der eigentlich mit Dub nicht soviel am Hut hatte, davon abgesehen aber allgemein als Genius anerkannt war: Howie B (Produzent u.a. von Björk, U2 oder Tricky) hat dann auch mit “Sly and Robbie drum & bass Strip to the Bone by Howie B” im Jahr 1999 meiner Meinung nach den Release abgeliefert, der Sly & Robbie als wichtige und ewig gültige Grösse am Dancefloor abseits des Dub-Genres etabliert hat, zwischen der andersweltlichen Abgehobenheit des Trip Hop und manisch tuckernden Disco-Stampfern. Und er hat den beiden Veteranen auch ein Element zurückgegeben, das in den Jahren der vielen Hit-Releases vielleicht ein wenig verloren ging: das jahrhundertealte afrikanische Erbe, ohne welches kein Reggae, kein Dub oder vielleicht auch überhaupt keine Pop-Musik überhaupt denkbar wäre.

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¹ Musical Instrument Digital Interface: digitale Schnittstelle für Musikinstrumente, eingeführt 1982.
  https://de.wikipedia.org/wiki/Musical_Instrument_Digital_Interface

Dienstag, 4. September 2018

Kung Fu!


KUNG FU! Kaum ein anderes Wort bringt die Augen eures Bloghosts so zum Leuchten wie dieses! Und das immer noch, nach so vielen Jahren. Die entsprechenden Filme, Videospiele und Comics begleiten mich schon mein Leben lang. Die Serie mit David Carradine. Der legendäre Song von Carl Douglas. Die Kultfilme mit Bruce Lee (oder wahlweise mit seinen Klonen Bruce Le, Bruce Li und wie sie alle hießen, alleine das ein unfaßbar geniales Thema ¹), “Die 36 Kammern der Shaolin” und alles andere von den grandiosen Shaw Brothers aus Hongkong. Mein ewiger Lieblingsfilm: “Die 7 goldenen Vampire” aus den britischen Hammer Studios. Und natürlich die ultimative Verneigung, “Kill Bill” von Quentin Tarantino, auf dessen oftmals angekündigten dritten Teil ich ja noch immer sehnsüchtig warte.


Den Kung Fu-Film als solches mag es nicht mehr geben, Spuren davon finden sich aber in jedem Action-Streifen, wie zum Beispiel in den ultrabrutalen Kämpfen in den indonesischen “The Raid”-Filmen. Comics gibt es natürlich auch, unzählige Ausgaben von “Lone Wolf and Cub”, Marvels “Master of Kung Fu” (welches ich sehr gerne in den neu aufgelegten digitalen Editionen lese) und die wunderschön gezeichneten Abenteuer von Danny Rand alias Iron Fist.


Die Kung Fu-Welle ist in den 1970er-Jahren übrigens auch in Jamaica unglaublich populär gewesen; die bitter arme Bevölkerung konnte sich mit den exotischen Underdogs aus Fernost unglaublich gut identifizieren. Wir wissen zum Beispiel, daß Lee “Scratch” Perry ein fanatischer Bruce Lee-Fan war, und sich 1975 (zum Glück für uns Verehrer) zu der legendären Schallplatte “Kung Fu meets the Dragon” inspirieren ließ.


Perry war nicht der einzige Kung Fu-begeisterte Reggae/Dub-Produzent. 2004 erschien eine wunderbare Trojan-Compilation mit dem Titel “Kung Fu! Reggae vs. The Martial Arts”, auf der sich nicht nur Lloyd Parks Reggaeversion von “Kung Fu Fighting” befindet, sondern auch so grandiose Nuggets wie “Hap Ki Do” von Big Youth, “Karate” von Dave & Ansel Collins und “Black Belt Jones” (The Upsetters), ein Tribut an den in den 1970ern immens populären Blacksploitation-Star Jim Kelly. Der Karatelehrer hatte 1973 eine Rolle in “Enter The Dragon”, bevor seine eigene Karriere im Jahr darauf in “Black Belt Jones” (dt. “Freie Fahrt ins Jenseits”) im Schmuddelkino begann.

 

“Kamikazi Dub” von Prince (King) Jammy wollen wir nicht vergessen - der Bezug zum Thema Kung Fu ist hier allerdings eher in so fantasievollen, reizend falsch geschriebenen Klischee-Titeln wie “Shoalin Temple”, oder “Oragami Black Belt” zu finden, während die Musik wahllos aus einer der unzähligen Dub-Sessions des Meisterproduzenten stammen dürfte. Das Cover wiederum entschädigt für alles.


2012 erschien ein weiterer wichtiger Release in diesem von mir so hochgeschätzten Sub-Sub-Genre, noch dazu von meinem Lieblingsproduzenten, Prince Fatty: "Prince Fatty vs The Drunken Gambler". Da gab es sogar eine richtig coole Story: "A true tale of betrayal and revenge. When Prince Fatty discovers that his former master has indeed turned to the dark side, a broken oath releases 10 fatal strikes of Sound System Specials. Only Prince Fatty can stop the Drunken Gambler's evil plan, but to do so, he must first battle the deadly team of “Disco Monks” that will stop at nothing in the service of their overlord.


No mercy is shown as Daddy Horseman strikes the blood stained swords of arch rivals and sworn enemies. Backed by the 'Supersized' assasins and the Mutant Hi- Fi, each having their unique kung fu style and weapons in an epic sound system battle lasting over 30 mins. Featuring Studio One legend Winston Francis and George Dekker from the Pioneers as the invincible Twins of Fury, Hollie Cook as the deadly Angel of Vengeance and as special guest, the infamous Dennis Alcapone
."
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¹ http://clonesofbrucelee.co.uk/?i=2

² Text von Bandcamp.