Sonntag, 20. Mai 2018

George Clanton, King of Vaporwave.

Outsider Music, das definiere ich auf diesem Blog ja keinesfalls mit amateurhaft oder belustigend, sondern als Kunstform, die sich wenig oder gar nicht um traditionelle Rezepte oder Vermarktungswege schert. Es gab sie immer und wird sie immer geben, die Persönlichkeiten, die ihre ganz eigene Vision von “Musik” erfinden und damit mein ewig neugieriges Ohr und Herz erfreuen.

Die legendären Outsider-Musiker sind ja (zumindest den wahren Afficionados) sattsam bekannt: Jandek, der Legendary Stardust Cowboy, Daniel Johnston, Wesley Willis und Wild Man Fischer (beide schon verstorben), The Shaggs - die Liste liesse sich endlos weiterführen.


Der Musikjournalist von heute darf freilich niemals müde werden, auch in neuen, unbekannten Genres oder Subgenres nach den wahren Schätzen zu suchen. Nehmen wir zum Beispiel Vaporwave - eine (im Gegensatz zu etablierten Genreschubladen) relativ neue, fast zur Gänze in der Virtualität stattfindende Bewegung; noch dazu eine, denen Traditionalisten und Ewiggestrige gerne die Existenzberechtung absprechen.

Ganz schneller Crashkurs in Sachen Vaporwave: “Vaporwave is a microgenre of electronic music and an Internet meme that emerged in the early 2010s. The style is defined by its appropriation of 1980s and 1990s mood music styles such as smooth jazz, elevator music, R&B, and lounge music, typically sampling or manipulating tracks via chopped and screwed techniques and other effects. Its surrounding subculture is sometimes associated with an ambiguous or satirical take on consumer capitalism and popular culture, and tends to be characterized by a nostalgic or surrealist engagement with the popular entertainment, technology and advertising of previous decades. It also incorporates early Internet imagery, late 1990s web design, glitch art, anime, 3D-rendered objects, and cyberpunk tropes in its cover artwork and music videos.” ¹


Schwierig bei der analytischen Einordnung des Genres ist, daß Vaporwave nicht aus sich selbst, sondern als Serie ironisch gemeinter Memes als Reaktion auf Synthwave entstanden ist - ebenfalls ein relativ neues Genre, das sich seit einigen Jahren recht erfolgreich der nostalgischen Verwurstung schlimmster US-80er-Jahre-Klischees widmet und diese als Kunstform zur nostalgischen Rückschau erhebt. Der Sarkasmus, der Vaporwave am Beginn prägte, ist heute weitgehendst verschwunden; die eingebildete analoge Wärme von Synthwave verwandelt sich dort allerdings weiterhin in klirrende Kälte.

In diesem Sinn ist Vaporwave (so wie Cloud rap) ein ziemlich ernüchternder Spiegel unserer Zeit - das Genre wird am Leben erhalten von sich hinter nichtssagenden oder bewusst irreführenden Avataren versteckenden Nonames, Kommunikation oder Anerkennung zwischen den diversen Protagonisten besteht selten bis gar nicht. Lieber werkelt man, vollgepumpt mit Xanax, Weed, und Alkohol an seinem privaten Eskaspimus und nimmt niemals, niemals die Kopfhörer ab. Eine glitzernd wirkende, aber lebensfeindliche und höchst instabile Welt, die durchaus ihre Reize hat.

Foto von nosmokingmedia.com
Und gerade hier gibt es unglaubliche Individualisten zu entdecken. George Clanton zum Beispiel, der mich in seiner komplexen Multidimensionaliät (wechselnde Rollen, Output) ein wenig an den hier sehr verehrten Danny Wolfers (Legowelt) erinnert. Der Unterschied: Wolfers scheint ein freundlicher, harmonischer Mensch zu sein, Clanton eher ein unzugänglich wirkender, verbissener Schichtarbeiter, hermetisch hinter seinen selbst gewählten Masken versteckt; seine Performances manchmal stark an der Grenze des Unerträglichen.

George Clanton würde das vermutlich anders sehen, der ist gut eingesponnen im Kokon seiner selbst ausgedachten Fantasiewelt, die zu großen Teilen aus den oben beschriebenen Vaporwave-Elementen besteht. Ein super-konsequenter Nerd, der sein Ding macht. Entgegen der wenigen Interviews, in denen er hauptsächlich von Geld, Erfolg und Erfolgsdruck spricht meine ich doch gerade bei den Live-Performances die darunterliegende Leidenschaft zu erkennen, die ihn anzutreiben scheint wie ein Perpetuum Mobile, auch wenn das möglicherweise(?) eine eher schmerzvolle Form von Lust sein könnte.

Foto von facebook.com/mirrorkisses
100% Electronica, so hieß sein Erfolgsalbum, danach hat er gleich auch sein eigenes Label unter dem gleichen Namen gegründet. Hier vertreibt er seine eigenen Pseudonyme, seine Freundin Negative Gemini und ein paar wirkliche Obskuritäten wie das deutsche Duo Peter Mergener und Michael Weisser, die in den 1980er-Jahren unter dem (damals noch hochoriginellen) Namen SOFTWARE ein paar Platten aufgenommen haben.

Als Rapper halte ich ihn definitiv nicht aus, aber ich liebe Clanton unter seinem Pseudonym ESPRIT 空想 - wie er hier Samples und Teile diverser bekannter und eher unbekannter 1980er-Pop-Acts auseinandernimmt, herunterpitcht, effektiert und in seinem Roland SH404 (hätte ich auch gern, leider extrem teuer) neu zum eigenen Vaporwave-Soundtrack zusammensetzt, das kann wirklich was. George Clanton muss man nicht sympathisch finden, innerhalb seines kleinen Reichs aber ist er für mich der König.

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¹ zitiert von https://en.wikipedia.org/wiki/Vaporwave


Der Meister im Livestream. ESPRIT 空想 takes his chair at 4:44
 

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