Vor zwei Jahren habe ich eines meiner sehnlichsten Lebensziele verwirklicht: Dank der Initiative meiner lieben Frau bin ich endlich im Haight-Ashbury-Distrikt in San Francisco gestanden, genau dort, wo der “Summer of Love” passiert ist. Da erinnern noch diverse Plaketten an wichtige Stätten, zum Beispiel die Free Medical Clinic, wo die ausgehungerten Hippie-Kinder (die sich meist ohne ausreichende Verpflegung und ohne Geld in einer gar nicht so liebevollen Umgebung wiederfanden) reihenweise mit Überdosen von damals noch neuartigen Rauschmitteln eingeliefert wurden - Ketamin zuerst, dann ziemlich reines Sandoz-LSD.
Etwas weniger museal geht es am Venice Beach nahe Los Angeles zu, den wir im darauffolgenden Jahr besuchten. Noch touristischer als das Haight, dafür auch lebendiger, weil es dort noch immer die berühmten Boardwalk Musicians gibt: großteils obdachlose Musiker, die von morgens bis abends (nach Einbruch der Dunkelheit ist es verboten) die vorbeiflankierenden Besuchermassen mehr oder weniger unterhalten. Viele der sich dort ständig aufhaltenden Menschen sind zu Berühmtheiten geworden, wie der uralte Opa zum Beispiel, der auf seiner Gitarre mit umgehängtem Miniverstärker krächzende Solos jaulen lässt, die (mit viel Fantasie) an den seligen Jimi Hendrix erinnern.
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Was macht ein Stoner als ERSTES am Venice Beach? |
Inmitten all dieses bunten Wahnsinns, im Auge des Sturms sozusagen aber thront ER - eine Mischung aus Franz Liszt, Liberace und Glenn Gould. Von seinen langen, verfilzten Haaren verdeckt, konzentriert über sein Klavier auf Rollen gebeugt, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. So spielt er jeden Tag klassische Kompositionen von Bach bis Chopin; fehlerfrei und mit viel Verve. Sein Name ist Nathan Pino, und er bespielt den Venice Beach freiwillig seit vielen, vielen Jahren.
Wenn man Nathan Pino googelt , fördert man erstaunliches zutage: Er war in den 1970er-Jahren Tourmusiker für und eine ganz kurze Zeit (1979) sogar einmal Teil des legendären One-Hit-Wonders Iron Butterfly.
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Iron Butterfly (Photo von web.musicaficionado.com) |
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Mystery Man: Philip Taylor Kramer |
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Bergung von P.T. Kramers Überresten in Malibu, 1999 |
Nathan Pino wiederum, kurzzeitiger Organist bei Iron Butterfly, wurde das ganze Musik-Business zu viel - er stieg aus, nicht nur bei Iron Butterfly, sondern überhaupt aus seiner gesamten bisherigen Existenz. ³ Seitdem bespielt er den Boardwalk am Venice Beach, denn davon hatte er bereits als Kind geträumt.
Falls ihr einmal am Venice Beach seid, geht einfach so lange dem Strand entlang, bis ihr (hoffentlich noch immer) wunderbare, klassische Klaviermusik hört - und zollt dem großen Nathan Pino Respekt. Über ausreichende Spenden ist der Vollblutmusiker übrigens sehr, sehr dankbar.
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¹ ausführliche Informationen zu dem Fall hier und hier.
² zitiert von Wikipedia
³ Feature über Nathan Pino (2013)
Nathan Pino auf Twitter. (bis 2015)
Photocredits: Sofern nicht anders angegeben, © Doc Nachtstrom & Juliane Brantner.
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