Samstag, 2. Juni 2018

Frühmorgendliche UFO-Tänze in Berlin.

Euer Bloghost urlaubt derzeit mit Gattin in Berlin – ein liebgewordenes Ritual quasi, das ich schon seit vielen Jahren betreibe. Berlin ist gut für fast alles: sich neu erdenken, den heimischen Mief ablegen, erdrückt werden von dieser unvergleichlichen Melange aus Geschichte, Subkultur, Chaos, Dreck und Coolness.


Bloß eines kann ich in Berlin wirklich nicht gut: schlafen. Das mag schon auch an meiner Disposition als Nachteule liegen, auch daran, das der infernalische Tag-und-Nacht-Straßenlärm an meinen Waldstille gewohnten Ohren und Nerven rüttelt. Aber es ist auch die vergleichsweise Annäherung an den Polarkreis, die den Nachthimmel nur wenige Stunden wirklich dunkel werden lässt (sofern die gigantische Lichtstreuung Berlins diesen Eindruck zulässt). Denn sobald ich aus dem Fenster blicke, ist schon wieder dieser verräterisch hellblaue Lichtschein zu sehen, und das bisschen angesammelte Müdigkeit vertschüsst sich in Richtung Neverland.


Foto von www.milla-club.de
So liege ich also um 06.00 früh oder später im Bett herum und vertreibe mir die Zeit mit – was wird es wohl sein – Musik. Ein besonders lieber und faszinierender Gast, wenn das Hirn nicht zur Ruhe kommen will und der Schweiß den Hals hinunter rinnt, ist Deb Demure, das geschlechtslose Alter Ego des – zumindest körperlich – in Los Angeles lebenden Musikers Andrew Clinco.


Foto von zero.eu
Der betreibt (seit einiger Zeit auch zusammen mit einem anderen, mysteriösen Wesen namens Mona D ¹) das über alle Maßen faszinierende Musik-Projekt Drab Majesty. Deren Musik und deren Aussehen muss man als Kind der 1980er-Jahre (welches ich ja bin) einfach sofort lieben, gar keine Frage. So richtig aufgefallen ist mir Deb Demure aber dann zum ersten Mal mit folgenden Worten (über den Song Egress, die instrumentale B-Seite der letzten Single "Oak Wood": “[It] is meant to serve as a faint departure or daydream; spaces I often find myself drifting to as a means of escape when disturbing thoughts cyclically plague my brain.[...] Making instrumental guitar pieces has always been an act of meditation and I hope if only for a brief moment, the listener can wander and lose themselves within the sonic imagery offered in this piece.” ²


Foto von thehundreds.com
Musikalische Strategien gegen Zwangsgedanken? Welcome to my world! Besonders faszinierend aber, dass Demure auch besonders von den gleichen seltsamen Randwelten angezogen zu scheint wie ich: seltsame Esoterik, UFO-Glaube, Verschwörungen, Outsider-Wissen. All dieses “Grenzwissen” im wahrsten Sinn des Wortes ist für uns eigenwillige Privatforscher nicht dazu geeignet, um es auf Glaubwürdigkeit abzuklopfen. Es fasziniert einfach unglaublich. Und inspiriert – zum Beispiel dazu, darüber wunderbare Musik zu machen. Oder gewisse Stilmerkmale in das eigene Universum zu übernehmen. Kurz gesagt: um damit zu spielen.


Hauptquartier von Unarius in El Cajon, Kalifornien (Foto von 4dperspectus.blogspot.com)
Der erste Release von Drab Majesty, “Unarian Dances” im Jahr 2012, war von der sehr super-obskuren Unarius Academy of Science inspiriert. Das ist der Kurzname einer 1954 in Kalifornien, USA (wo sonst) gegründeten Organisation (langer Name: “Universal Articulate Interdimensional Understanding of Science”). Diese bietet via gechannelter Botschaften diverser Alien-Entitäten ein sehr komplexes (und in deren Meinung auch) wissenschaftliches Erklärungssystem unserer Welt an: ein System mit unendlich vielen unsichtbaren Dimensionen, außerdem mit anderen, besiedelten Welten in unserem Sonnensystem und anderen Sonnensystemen.


Man könnte natürlich sofort urteilen, das sei eine UFO-Religion oder UFO-Sekte. Bloß haben die Unarier von jeher darauf bestanden, keine “religiösen” Merkmale zu haben; folgerichtig sind sie auch nicht als religiöse Organisation in den USA eingetragen, besitzen keine Ränge und sind strictly non-profit – soll heißen, sie finanzieren sich durch Spenden. Und sie haben vor allem in den 1980er-Jahren durch wunderbar absurde Videobotschaften geglänzt, die damals im lokalen US-TV zu sehen waren, und unseren Deb Demure wohl ein wenig ... “beeinflusst” haben dürften.



Sehr deutlich ist auch Demures Faszination für eine tatsächliche, nicht mehr existierende UFO-Sekte namens Heaven's Gate, deren geistiges Oberhaupt Marshall Applewhite sich samt seinem 38 Mitglieder zählenden “Away Team” im Jahr 1997 vergiftete, um auf den damals vorbeiziehenden Kometen Hale-Bopp zu gelangen (den hielten die nämlich für ein Raumschiff).


Die langwierigen Erklärungen von Heaven's Gate mittels Videobotschaft, in denen man den geistigen Verfall Applewhites klar und deutlich erkennen kann, zählen für diesen Bloghost zu einem unendlich oft angesehenen obskuren Schatz, wie es kaum einen zweiten gibt. Deb Demure scheint es ähnlich ergangen zu sein: In dem Song “39 by Design” des 2017er-Releases “The Demonstration” beschäftigt er sich auf eine Art und Weise mit dem tragischen Vorfall, die ich unglaublich sympathisch finde. Mit großer Empathie nämlich, aber auch mit ein bisschen Faszination, nämlich mit der Frage: “Did they beam you up into the lights in the sky?” ³


So liege ich also im Halbdunkel aus Handydisplay und Morgengrauen, lasse Deb Demure von möglichen anderen Realitäten in meine Ohren flüstern und tippe diesen Text in mein Handy. Bald ist es Tag und die Geschäftigkeit der 9-to-5-Menschen rund um mich herum wird diese zartviolette, melancholische, aber auch inspirierende Stimmung vertreiben. Bis zum nächsten Morgengrauen.

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Drab Majesty Bandcamp

Drab Majesty bei Dais Records

Unarius - Academy of Science 

Heaven's Gate - Original Website

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¹ Mona D (Alex Nicolaou) ist der Sohn des B-Movie-Regisseurs Ted Nicolaou, der 1974 als Aufnahmeleiter im Regie-Team des legendären "Texas Chain Saw Massacre" von Tobe Hooper war.

² https://www.daisrecords.com/collections/drab-majesty/products/oak-wood-7

³ der volle Text:

When you walked alone to leave your life at home 
You really wanted to die 
And if you hoped to hold the key to eternity 
You really wanted to die 
Can’t count your blessings saying goodbye 
Did you really watch your desires resign? 
In the case of a wandering eye 
And when you fell to Earth and lost the love to love 
You really wanted to try 
Can’t count your blessings saying goodbye 
39 by design 
Did they beam you up into the lights in the sky 
If you could take a polaroid of your life, would you cry? 
Would you make them stare into the whites of your eyes? (Eternal point of view) 
And when you came to turn the hands on the sands of time 
You really wanted to die 
And then you showed them how you felt It was so hard to break the spell 
You just wanted to die 
Can’t count your blessings saying goodbye 
Really just a roll of the dice 
When truth or lies will make you cry 
Really doesn’t make a lot of sense Too tense to recompense 
Really just a roll of the dice 
When truth or lies will make you cry 
Really doesn’t make a lot of sense 
The end we’ll all be cleansed


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