Freitag, 18. Mai 2018

Explorers_We.

In den gelobten 1990er-Jahren hatte ich einige musikalische Schocks. Gesunde Schocks, wohlgemerkt, die meinen musikalischen Geschmack verbogen haben wie Uri Geller früher mal seine Gabeln.


Zum Beispiel entdeckte ich Computermusik. Und Noise. Und die geniale Verbindung von beidem, Computer-Krach also. Das damals sehr angesagte Label in Erdberg, Wien hieß Mego und nannte seine Musik neckisch “Third Vienna School”, also in der direkten Nachfolge von Schönberg, Berg und Webern.

Vieles dieses ehrgeizigen Vorhabens erwies sich letztendlich als leere Versprechung. Andererseits: Russell Haswell, Florian Hecker, Peter Rehberg, Fennesz, Francisco Lopez - diese damals zum ersten Mal gehörten Künstler sind für mich heute noch genauso relevant und werden es auch immer bleiben.


Naja, und dann gab es auf Mego natürlich farmersmanual. Die haben mich gleich mit ihrem ersten Release zum lebenslangen Fan gemacht. Die Musik: unbeschreiblich. Das Image von denen: Ein Nerdtraum.

Ich glaube, ich muß ein wenig ausholen: Die Schublade, die ich mir selbst für farmersmanual ausdachte, habe ich Glitch Punk genannt. Wenn ein Computerprogramm aufgrund diverser Befehle anfängt, irgendwelche musikalischen Parameter herunterzunudeln, dann sind Fehler vorprogrammiert - es wäre dann der Job findiger Programmierer, das zu optimieren. Nicht so farmersmanual. Diese Jungs würden eher mit grosser Begeisterung Piezomikrofone in die Hardware geklebt haben und hätten den digitalen Salat dann so lange aufgenommen, bis das sich selbst zu Tode marternde Gerät in einem grossen Feuerball explodiert wäre.


Und dann das Image: Es gab keines. Wer sich konzentrierte, über ihre Laptops gebeugte Maschinisten vorstellte, war zumindest bei einem oder zwei ihrer legendären Konzerte sehr irritiert. Die jungen Herrschaften dachten nicht daran, sich wie “professionelle Musiker” zu verhalten. Manchmal wurden die Computer eingeschaltet und spielten dann alleine vor einem Publikum, welches sich nicht sicher war, wie es sich verhalten sollte. Manchmal fiel während der Performance auch einer von den farmers betrunken vom Sessel oder schlief einfach ein.

So ganz klar war ja auch nie, wer da jetzt eigentlich dazugehört. War das ein Kollektiv? Journalisten hatten es wohl ebenfalls nicht leicht, weil farmersmanual meistens einfach nichts zu sagen hatten. Die starrten lieber betreten auf ihre Sneakers und schwiegen. Der Legende nach war sogar der damals wie ein Gott verehrte Richard D. James aka Aphex Twin einmal backstage, und auch da wusste niemand was zu sagen.


farmersmanual gibt es immer noch, oder wieder - irgendwie. In immer wechselnden Besetzungen werden manchmal riesige Installationen bespielt, und auch auf Bandcamp erscheinen in aufreizender Langsamkeit diverse Werke; wobei man nie sagen kann, ob da als nächstes ein dreistündiges Mammutwerk oder ein zweiminütiger Loop zu erwarten sein wird.

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Wenn ich einen Lieblings-Release festmachen müsste von farmersmanual, ich würde definitiv Explorers_We auswählen. Das 1998 erschienene Werk ist für mich nämlich das ultimative farmers-Buffet: Die Plunderphonics-Techniken des kanadischen Aktivisten, Komponisten und Tänzers John Oswald sind da ein guter Startpunkt, ebenso die strengen, kalten CD-Glitches von Oval. Das alles aber nur als unzulängliche Wegweiser, denn die vorbeisausenden Soundfetzen von Explorers_We, die sich schockartig zu überquellender Soundlava verdichten, nur um dann blitzschnell wieder in einem Spiegelsaal voll eiskalter Halleffekte zu verschwinden, sind irgendwie nicht festzumachen, entziehen sich der Analyse. Soviel ist sicher: Das äußerst irritierte Gehirn versucht sich tapfer, seinen Weg zu bahnen und wenigstens irgendeine Form zu erkennen. So entsteht dann in der Erinnerung eine neue Art von Musik, die so niemals stattgefunden hat.

Sean Cooper hat das damals auf AllmusicReview sehr schön in Worte gefasst: “If exploiting the microscopic compositional possibilities enabled by digital recording and editing technologies can be considered a distinct new genre, then Explorers_We is its first masterpiece. At first blush formless and chaotic, the CD's hour-plus collage of vocal bits, sound bytes, and fractured song fragments begins gradually to cohere into something remarkable and seductive. farmersmanual write songs like frozen juice containers-concentrated, and requiring a bit of elbow work. But once the right ratio of ideation and assent has been found, Explorers_We is a true delight.” ¹

Ach, wie oft habe ich mir mit diesen wilden Sounds im Minidiscplayer die Ohren blutig gehört, mit stundenlangem Tinnitus danach. Explorers_We ist das auch wirklich wert.

Mit großer Freude habe ich kürzlich vernommen, daß dieses für mich absolut ikonische Werk bereits auf Bandcamp erhältlich ist. Was für eine Gelegenheit, sich diesem widerborstigen Klassiker aufs Neue zu stellen! Lass dir das nicht entgehen.



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Die Kommunikationsunlust (was für ein Wort!) von farmersmanual ist, wie bereits beschrieben, Legende. Tapfer hab ich es trotzdem versucht, anlässlich der VÖ eine Art Statement von irgendwem aus der “Band” zu bekommen. Geantwortet hat mir V93r - hier also als Abschluß ein kleines Mailinterview: 

Hallo v93r, finde ich ja extrem lässig, das ihr Explorers_We wiederveröffentlicht. Gabs dazu einen aktuellen Anlass?

Jein. Sämtliche Farmersarbeit ist stets anlaßbedingt. Nur lassen sich diese Anlässe schwer planen. Gevatter Zufall ist bei farmersmanual ein sehr gern gesehener Genosse. 

farmersmanual spielt ja hin und wieder noch immer Konzerte - wird das im Kollektiv entschieden, wo und wie oder macht das gerade derjenige, der gerade Zeit und Lust hat von euch? Ich habe ja gehört, das es auch schon Soloperfomances gegeben hat unter eurem Namen…

Nachdem wir ja nie nach Auftrittsmöglichkeiten gefragt haben, freuen wir uns, daß wir wieder für Auftritte angefragt werden. Entscheidungen treffen entweder alle (je nachdem) gemeinsam, oder derjenige, der gerade Zeit oder Lust hat. Oder niemand. Die Teilnahme im Kollektiv steht jedem frei, der sich gekonnt einzubringen mag, und sympathisch ist. Den Namen werden wir jedoch nicht mehr ändern (zu faul). 

Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

Es gibt definitiv ein Konzert in London im Juli dieses Jahres in einem Ausgleichsbehälter des ältesten Themse-Tunnels, dem Brunel-Shaft. Was dort passieren wird, diskutieren wir noch ab- & zu, wahrscheinlich auch noch bis zum Tag des Gigs. Wir möchten den Raum ausloten. Der Gig wird traditionell hinterher released werden.

Danach möchten wir wandern gehen, und farmersmanual Hüttengaudis “am Berg oben” vollbringen. Die erste avisierte Hütte dazu ist die Speiereckhütte im Lungau, betrieben vom Szene-Gastronom Leonhard Minutillo. Super Aussicht, Bergschuhe haben wir schon. 

Wird es wieder einen neuen Studiorelease geben? Oder weitere Veröffentlichungen von Konzerten?

Einen Studio-Release soll es anscheinend auch geben, auf dem Mego Label Successor Editions Mego. Wir überlegen aber noch (jeder für sich, gemeinsam, oder auch gar nicht), wie wir das avisierte Retro-Format Vinyl am besten pervertieren können, bzw. die Entstehung des Releases zu einem anlaßbedingten zeitlich ausgedehnten Event machen können. Am besten mit Freunden, gutem Essen und viel Spaß. Dings, wirf Anlaß vom Himmel, Danke.

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¹ zitiert von https://www.allmusic.com/album/explorers-we-mw0000768368

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