Donnerstag, 3. Mai 2018

Platten, die dein Bewußtsein verändern.

Heute beschäftigen wir uns mit drei Releases, die behaupten, das Bewusstsein des Hörers beim Abspielen der Musik und/oder eines gelesenen Textes zu verändern. Wie ein Praegustator im alten Rom¹ hat sich euer Bloghost bei jedem der vorgestellten Werke auch als kritisches Testobjekt zur Verfügung gestellt. 


Trigger Warning: Falls beim Anhören der hier besprochenen Werke etwaige Nebeneffekte wie Zeitverlust, Schwindel, Unwohlsein oder eventuelle halluzinatorische Episoden auftreten, ist jegliche Sitzung sofort abzubrechen. Geistergesang™ ist in keinem Fall für eventuelle geistige Verwirrung (die jedoch bald wieder abklingen sollte) haftbar.

Time Machines vom legendären britischen Duo Coil ist natürlich das erste Werk, das in den Sinn kommt soll es doch der Legende nach Zeitreisen oder sogar Reisen in andere Dimensionen ermöglichen. "4 tones to facilitate travel through time", so der Untertitel des 1998 erschienenen Releases; die einzelnen Stücke haben so schöne Namen wie 7-Methoxy-β-Carboline: (Telepathine) oder 2,5-Dimethoxy-4-Ethyl-Amphetamine: (DOET/Hecate),
5-Methoxy-N,N-Dimethyl: (5-MeO-DMT) oder auch4-Indolol,3-[2-(Dimethylamino)Ethyl], Phosphate Ester: (Psilocybin)

Laut Bandinfo seien dies mittels diverser Synthesizer, Samplern und anderer Musik-Hardware umgesetzte Meditationen über diverse "experimentale Drogen", welche den Bandmitgliedern von "führenden, internationalen Chemikern zugeschickt worden seien."²

Das bis jetzt am häufigsten von "Time Machines"-Hörern angegebene Phänomen ist das der sogenannten "Temporal Disruption", also im Nachhinein bemerkter Zeitverlust. Das Phänomen soll sich intensivieren, wenn man die einzelnen Drones mit Loopfunktion so lange wie möglich hört Coil selbst schwebte eine Anhördauer ähnlich der Eternal Drones eines La Monte Young vor also am besten viele Stunden oder Tage am Stück. 

Ich gebe zu, bei hoher Lautstärke und sensorischer Deprivation kann das schon ganz schön verwirrend werden. Wenn man allerdings in keinem induzierten "Trance-State" ist, gibt man bald auf, denn als Hintergrundmusik eignet sich "Time Machines" auf Grund der recht unangenehm anzuhörenden Frequenzen in gar keinem Fall. 

Kurz vor seinem Tod stellte das verbliebene Coil-Gründungsmitglied Peter Christopherson übrigens noch "Time Machines II" fertig, die posthum im Jahr 2014 veröffentlicht wurden.



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Wirklich deftig und grandios absurd ist das Konzept eines wenig bekannten Releases auf Ipecac, dem Label des Faith No More-Sängers Mike Patton. Das mysteriöse Golding Institute (welches mich sehr an das Arboria Institute des Kultstreifens "Beyond the Black Rainbow" erinnert) ermöglicht mit "Final Relaxation" einen... schmerzfreien Tod!

Den Promotext dafür muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: "The most shocking album of our generation! A radical cult-group masquerading as a educational organization, The Golding Institute presents this disturbing audio program that enables the listener to die... simply by listening to it! A record with the power to kill! Stomach-turning medical tones and a horrible narration take the listener through a series of visualization and breathing techniques that shut down the body's organs one by one... until the subject is finally dead."

Die zittrige Stimme des "Vorlesers", die unterschwellig-sinistren elektronischen Töne im Verbund mit dem Promotext schaffen es doch tatsächlich, so eine Art Mini-Urban Legend im Kopf des Zuhörers entstehen zu lassen. Vielleicht funktioniert es ja wirklich? Ich habe die CD bis heute nicht fertig gehört, weil... naja. Aberglaube!
Auf Bandcamp kann man sich die "Final Relaxation" in einem Rutsch anhören... wenn du dich traust.



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Vor ungefähr einem Jahr ist "Patterns of Consciousness", ein Werk der in Berlin lebenden Komponistin Caterina Barbieri als Doppel-LP auf Important Records erschienen. Barbieri, deren Selbstbeschreibung auf ihrer psychedelisch-bunten Homepage ("Caterina explores the psycho-physical effects of repetition and pattern-based operations in music, by investigating the polyphonic and polyrhythmic potential of sequencers to draw severe, complex geometries in time and space.") mir sehr sympathisch ist, liefert mit den ausführlichen Liner Notes gleich quasi die "Bedienungsanleitung" für diesen hochkomplexen Release mit: "A pattern creates a certain state of consciousness. Once it is created, the pattern stands as an object exactly like the sound waves which generate it. We are at the same time inside and outside of the object. While being it, we observe it. Over time we become familiar with the inner structure of the pattern. We decode its gravitational centres, where our psycho-motor attention is attracted, where everything seems to be drawn."

Caterina Barbieri (Foto von vice.com)
 "When a change in the pattern occurs it causes a perturbation of the previously established field of forces. This causes consciousness to fracture, potentially unfolding layers of perceptions we weren't aware of or simply suggesting that we access only a fraction of our psychic potential. The layered nature of consciousness and the relativity of perception are some of the biggest secrets we can experience through sound." ³

Das klingt spannend und erzeugt als selbsterfüllende Prophezeiung natürlich gleich einmal eine sehr wache und aufmerksame Grundhaltung. Die Tracks auf "Patterns of Consciousness" starten sehr minimal und "rein", da konsequenterweise nur ein Oszillator und ein sogenannter Indexed Quad Sequencer (hmmm... keine Ahnung) verwendet wurden. Ein bisschen Sitzfleisch vorausgesetzt, kann man den einzelnen Grundeinheiten wunderbar bei ihrer Evolution in immer komplexere Patterns beobachten, wobei die zunehmende Variation dieser ("By means of subtraction,addition and jitter operations, Barbieri derives a myriad of interlocking patterns extracted from an original matrix of just few harmonic archetypes, gradually developing the potential of the reduced constellation of pitches and durations determined in advance.")⁴ in meinem Hirn einen Vorgang auslöst, den ich sehr gerne mag. Ich nenne das gerne "Geisterkomposition", andere vielleicht "Sphärenmusik" (dazu ein andermal noch mehr). 

Das haben mir allerdings keine Engel eingegeben, sondern mein absichtlich verwirrtes Bewusstsein: Da es nicht mehr in der Lage ist, Muster zu erkennen, erzeugt es einfach neue; ich glaube das ist es auch, was Barbieri vielleicht erreichen wollte? Diese elegante Demonstration eines immer undurchdringlicher mit Maschinencode durchsetzten Lebensumfeldes triggert allerdings auch den Science Fiction-Fan in mir; das Kind, das beim Ansehen des Films "Alphaville" aka "Lemmy Caution gegen Alpha 60" von Jean-Luc Godard vollkommen verängstigt und auch verzückt zum ersten Mal der Stimme einer Maschine lauschen durfte. 



"Patterns of Consciousness" kann man hier bestellen.

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¹ zitiert von Wikipedia
² zitiert aus einem Interview mit Coil in The Wire 1988, Link.
³ zitiert von importantrecords.com/imprec/imprec449
⁴ zitiert aus Boomkat-Review, 26 May 2017

hier noch eine interessante Analyse zu "Final Relaxation".

Und hier meine allerliebste Maschinenstimme aus "Alphaville":

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