Mittwoch, 20. Juni 2018

Stoner-Mystik.

O menschliches Leben, du unglaubliches Rätsel! Mit Bewusstsein ausgestattet, dürfen wir uns in der einsamen Ecke des unermesslichen Kosmos auf unserem Mini-Planeten selbst erkennen und uns eine gewisse Zeit lang der größtenteils illusionären Natur unseres “freien Willens” hingeben, bevor wir früher oder später wieder in unsere Bauteile zerfallen.


Das wäre eigentlich schon Wunder genug (Richard Dawkins würde mir da sicher beipflichten), unserem äußerst hartnäckig agierenden Bewusstsein reicht diese Tatsache aber natürlich keineswegs aus. Selbst Menschenwesen, die sich stolz das “Atheistenbanner” umhängen und mit der mechanistischen Erklärung unseres Universums vollkommen zufrieden zu sein scheinen – gerade die erwischt man oft bei ihren unbewussten Ritualen des magischen Denkens, gemeinhin auch Aberglaube genannt.


Und dann gibt es ja noch diejenigen, die zwar gerne an den lieben Gott glauben würden, den die Kirche erfunden hat – jenen, der wahlweise als zorniger Diktator oder weiser Opa mit Rauschebart über unsere Geschicke wachen soll. Da das Konzept “Religion” heutzutage aber nicht mehr so wahnsinnig populär ist unter des Denkens fähigen Menschen, muss man notgedrungen auf die abenteuerlichen Untiefen der “Spiritualität”, auch Esoterik genannt, ausweichen, um seinem Leben irgendeinen Sinn zu geben.

Solche und ähnliche Gedanken treiben mich um, wenn ich die mystisch angehauchten Songtexte meiner geliebtesten Stoner-Rock-Bands studiere. Dabei geht mir die “Esoterik” echt unheimlich auf den Nerv.


Das war aber nicht immer so: Auch euer Docteur war nämlich lange ein Anhänger esoterischer Theorien – denn auch er versuchte früher (so wie sein gesamtes damaliges Umfeld), sein Leben und die dazugehörenden Probleme zu meistern, indem er hauptsächlich mit “esoterischen” Umdeutungen stinknormaler, bedeutungsloser Ereignisse beschäftigt war und sich so ganz bequem jeglicher Verantwortung für eigene Handlungen entziehen konnte.



Jahrelange “Stammkundschaft” bei einem Homöopathen, der mir bei jedem Besuch wieder von Neuem freudestrahlend eröffnete, dass er nun endlich DAS Mittel gegen meine Probleme gefunden hätte? Check. Umherirrende Lichter von UFOs (die sich dann doch als Autoscheinwerfer am gegenüberliegenden Berg herausstellten)? I was there. Übernatürliche, nicht inkarnierte Meister, die via “Channeling” ihre Weisheiten verbreiteten? Ich warte heute noch auf eine Botschaft, die nicht schon längst irgendwo in einem Buch steht, das der “Channeler” ganz zufälligerweise vorher gelesen hat.



Ihr seht schon, die Bullshit-Liste ist endlos – in Richtung Absurdität gibt es da keine Grenzen; man sollte sie dann aber irgendwann definitiv für sich selbst ziehen. Bei mir trat mit meiner Frau zum Glück ein Mensch in mein Leben, der mir sozusagen ein wenig das Hirn durchpustete; für den wieder etwas nüchterner gewordenen Blick auf diesen ganzen furchtbaren Eso-Quatsch werde ich ihr ewig dankbar sein.


Photo by Diana Lungu - dianalungu.com
Falls man sich jetzt fragen sollte, was dieser Rant auf einem Blog über Musik zu suchen hat: Als aktiver Stoner und Die-Hard-Fan der entsprechenden Musik studiere ich ja wie gesagt die Songtexte meiner geliebten Stoner-Rock-Bands ganz genau. “Esoterik” gibt es in solchen Texten zur Genüge – allerdings, wie ich finde, immer sehr schön kreativ aufgearbeitet und poetisch sehr verbrämt. So sehr, dass Spiritualität zu Science Fiction wird und das finde ich dann eigentlich wieder sehr lässig und auch inspirierend. Mike Scheidt, der kürzlich wie Lazarus wiederauferstandene Frontmann der Kultformation YOB zum Beispiel hatte ja schon immer eine spirituelle Schlagseite:

All my life

Stared into flames

Of the gods

Of our god

Burning

In this dreaming unease

In my eyes

Colors wane in the halls

Hallowed halls Send my roots

Into unknown fields

(“In our Blood”)

Photo von metalinjection.net
Seit Scheidt allerdings im Spital nach mehreren Notoperationen Halluzinationen aufgrund schwerer Beruhigungsmittel hatte (Er sprach in Interviews vom Gefühl der “Entkörperlichung”, was man vermutlich auf diverse Präparate mit Ketamin-Anteilen zurückführen könnte. Die Presse machte daraus sofort ein Nahtod-Erlebnis), ist der selbsternannte Quantum Mystic bei seinen Texten aber überraschenderweise vergleichsweise realistisch geworden. Ein kleiner Auszug aus “Our Raw Heart”:

From holes in my gut

To love from miracles

Silver climbed the walls

Eyeless looking on

It’s looking still

Drawn by a mortal thread

To an ever shifting weave

Known better by my bones

Than my eyes can see

Shrine to a silent call

Beckoning my restless ghost

Photo von aminoapps.com
Ein anderer großartiger Stoner-Mystiker ist Al Cisneros, der legendäre Sleep-Bassist und Teil von OM, der (Nomen est Omen) “spirituellsten” Band im Metal-Umfeld überhaupt. Der Text zu “State of Non-Return” ist ein Traum für Mystik-Liebhaber:

Traveler now reach the stream. The astral flight adapter

From the pain-sheath life ascends - the Non-returner sees

Empathy release me - and the phoenix rise triumphant

And walks onto the certitude ground - the soul's submergence ends


From the rounds of rebirth - he arrives onto the deathless

Light bores through the adjunct worlds - the soul-galleon prevails

Liberates in wisdom to complete state of negation

The five roads subsumed by grace - emancipates from dream




Berichten diverser faszinierter Augenzeugen zufolge ist Cisneros eine absolute Legende, was den stetigen Konsum aller Arten von psychedelischen Rauschmitteln betrifft. Aber seien wir uns ehrlich: Die genialsten metaphysischen Songtexte wurden und werden noch immer unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Drogen verfasst. Nicht dass ich diese Methode jetzt propagieren wollte, aber diese Art von Stoner-Mystik ist mir heutzutage auf jeden Fall viel, viel lieber als Reiki, Aurafotografie, Rolfing, Channeling, Lichtarbeit, Familienaufstellungen oder Bachblüten.

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