Lass uns kurz zurückblicken auf das Rave-Zeitalter Großbritanniens: Dessen grosse Zeiten sind zwar lange vorbei, immer noch aber existieren die drei grossen Institutionen Underworld, Orbital und The Orb, die auch heute noch die Stadien auf der Insel füllen. Underworld machten sich mit dem Titelsong “Born Slippy” für Danny Boyles “Trainspotting” unsterblich und sorgten mit den extralangen Versionen ihrer Technohymnen für Ekstase bei eurem Bloghost, bevor mein Interesse über die Jahre langsam, aber stetig nachliess - zu harmonisch, zu stromlinienförmig war mir ihre Musik dann irgendwann geworden.
Und Orbital habe ich ganz ehrlich niemals verstanden: Da waren diese zwei Typen mit ihren damals schon nicht mehr so richtig coolen Brillen mit eingebauten Strahlern (die sie bei Auftritten übrigens heute noch tragen) und machten Musik, wie sie oberflächlicher und durchschaubarer nicht sein könnte. Selbst das in den 1990er-Jahren in der Dance Music so beliebte und verkaufsträchtige “Ambient-IDM-Drogen-Mystik”-Etikett, welches sozusagen auch auf den Releases von Orbital klebte, konnte mir diese dünne, vorhersehbar auf Mitgröhl-Hymnen getrimmte Rave-Suppe nicht schmackhaft machen.
The Orb zur Zeit von "Little Fluffy Clouds" (Foto von soundonsound.com)
The Orb nahm ich überhaupt nicht wahr, weil ich die damals einfach mit Orbital verwechselte. Aber ihr kennt das ja sicher, wenn man sehr spät auf etwas stösst und es dann “so richtig im Gebälk raschelt” - genau das war meinerseits bei The Orb der Fall. Entdeckt habe ich die erst über Produzent Thomas Fehlmann, dessen Release “Honigpumpe” 2007 bei mir für endlose Begeisterung sorgte - selten habe ich “Techno” so warm, organisch und individuell wahrgenommen. Beim Stöbern nach anderen Releases des Schweizer Altmeisters kam ich dann natürlich auf Alex Paterson, dessen Partner in The Orb Fehlmann seit den 1990er-Jahren immer wieder war (aufgeführt in den Liner Notes der entsprechenden Releases als “Floating Member”).
The Orb (Foto von thequietus.com)
The Orb als “Projekt” und sämtliche Releases sind ein rhizomatisches Konstrukt, wenn ich diesen Begriff (wie in meinen Artikeln über Legowelt) wieder einmal verwenden darf - hierarische Bandstrukturen oder ein klar umrissener musikalischer Style sind schwer zu definieren, was daran liegt, daß Gründungsmitglied Alex Paterson The Orb immer offengehalten hat; als kollaboratives Projekt, in dem durchaus auch er selbst hinter die rasch wechselnden Mitmusiker zurückgetreten ist. Die ständig wechselnden Produktionsmethoden und grundsätzliche stilistische Aufgeschlossenheit (brennende Neugier, wie es manchmal scheint) machen The Orb zu einer Quelle ständiger Überraschungen für den Zuspätgekommenen, der das gewaltige Werkverzeichnis im Nachhinein erschliessen will.
Alex Paterson und Thomas Fehlmann (foto von dublab.com)
“Orbus Terrarum”, der dritte Studiorelease aus dem Jahr 1995, geht weiter als alles, was The Orb zuvor und später je gemacht haben. Jeder einzelne Track ist mit einer Bootsreise auf einem Fluss zu vergleichen. Drumloops, atmosphärische Pads und Sprachsamples verdichten sich zu Songs, hinter der nächsten Biegung aber lösen die sich sofort wieder auf. Als Passagier dieser Nussschale sollte man sich ja nicht zu sehr in Sicherheit wiegen - der ruhig dahinfliessende Strom kann jederzeit blitzschnell zu einem reissenden Monster werden. Und daß The Orb Jahre später mit der Dub-Legende Lee “Scratch” Perry kollaboriert haben (siehe meinen Artikel hier), versteht man bereits, wenn man die frühen Releases hört - da jagen und multiplizieren sich die Echo- und Hallfahnen, daß es eine reine Freude ist.
Der Klick auf das Video öffnet rechts daneben die gesamte YT-Playlist.
“Orbus Terrarum” galt zu seinem Erscheinen in der britischen Presse als Totalflop, als Aberration - der Verzicht auf das von determinierten Hörgewohnheiten Erwartete liess Fans und Kritiker auf der Insel total ratlos zurück. Anders in den USA: Der Rolling Stone wählte “Orbus Terrarum” damals zur Platte des Monats ¹. Ganz klar, die extralangen Songs verlangen dem geneigten Hörer einiges ab; die Architektur erkennbarer Strukturen ist größtenteils verhüllt. Doch das inhärente Versprechen von Bands wie The Orb, ihr Publikum an unbekannte Sound-Gestade zu katapultieren, wurde niemals konsequenter eingelöst als hier. Ich möchte auf keinen Fall irgendwelche ausgelatschten Stoner-Klischees bemühen, in vorliegendem Fall bleibt mir aber einfach keine Wahl: Ja, das ist Musik, gemacht von Stonern für Stoner. Wenn man sich in einen veränderten Bewusstseinszustand begibt, öffnet man sich für ein größeres Soundfeld - und an diesen Grenzen zum Unendlichen operieren The Orb und öffnen Passagen in bisher unbekannte Realitäten.
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Kauft euch “Orbus Terrarum”! Ich würde übrigens dringend zu der 2008 erschienenen “Remastered und Expanded Edition” raten, einfach deswegen, weil da noch viel mehr dieser genialen Musik enthalten ist. Kann man über die Homepage von The Orb bestellen.
Das Wort “Grenzgänger” gefällt mir gerade in der heutigen Zeit ziemlich gut - wenn nämlich alle Staaten am liebsten ihre Grenzen schliessen möchten, um ihre illusionären “Festungen” zu beschützen, ist es wichtiger denn je, Grenzen zu überqueren, offen zu sein für neue Kulturen, Ansichten oder Erkenntnisse.
Der Begriff bezeichnet in Wahrheit die sogenannten “Grenzpendler”, die in einem Land leben und im angrenzenden Land arbeiten; allerdings auch im übertragenen Sinn jemanden, der sich zwischen verschiedenen “Bereichen, Feldern oder Konzepten bewegt.” ¹ Und da sind wir schon wieder bei meinem derzeitigen Lieblingsthema Dub angelangt; denn hier gibt es ein paar prägnante Künstler, die alle Merkmale dessen mit anderen Musikstilen verbunden und vermischt haben - das Ergebnis ist eine absolute Bereicherung für den neugierigen Hörer, so wie euer Bloghost ja einer ist.
Starten wir unser kleines Showcase zum Thema mit einem kanadischen Ausnahmetalent namens Ryan Moore. Der Multiinstrumentalist und Studio-Wizard wurde in den 1980er-Jahren in London vom Dub-Virus infiziert, wurde zum leidenschaftlichen Dubplate-Sammler und experimentierte auch schon damals mit ersten eigenen Tracks. Moore war Schlagzeuger und Bassist in einer der profiliertesten und spannendsten experimentellen Psychedelic-Bands Europas - den Legendary Pink Dots, bevor er seine Karriere als Sideman mehr oder weniger an den Nagel hängte, um sich ganz seiner allergrössten Leidenschaft, dem Dub zu widmen.
1995 erschien dann der erste Release als “Twilight Circus”; unter diesem Namen hat Moore bis heute 28 (!) Alben veröffentlicht (ganz abgesehen von den unzähligen Singles und 10-inches), hat mit zahlreichen wichtigen Reggae-Produzenten und -Sängern kollaboriert und ist als Produzent u.a. von Michael Rose und Ranking Joe in Erscheinung getreten. Stilistisch ist der Twilight Circus jenen zu empfehlen, die es im Dub schwer und langsam mögen: Die dick verhallte Atmosphäre mit den fetten Drumbeats und den ultratiefen Basslines erinnert an den leider kurzlebigen Illbient - konsequenterweise war Moore auch auf einem der drei Crooklyn Dub-Sampler auf Wordsound vertreten. ²
Die Stilvielfalt Moores geht zwar nicht ganz so weit wie die abenteuerlichen Produktionen Adrian Sherwoods auf On-U Sound-Records, aber man merkt natürlich die Vergangenheit bei den Legendary Pink Dots; konsequenterweise hat Moore auch 2013 mit deren Sänger Edward Ka-Spel gemeinsam ein sehr experimentell gehaltenes Album aufgenommen (Edward Ka-Spel Meets Twilight Circus - 800 Saints In A Day).
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Von Kanada reisen wir im Ganjamobil nach England: In London sitzt dort Mike Pelanconi (besser bekannt unter seinem Pseudonym Prince Fatty) in seinem Studio und produziert seit Jahren wunderbare kleine Dub-Perlen (u.a. mit Hollie Cook, dem Drunken Gambler und Mungo's Hi-Fi); unvergesslich und heissgeliebt auch seine Coverversionen diverser Hip Hop-Klassiker wie “Gin and Juice” oder “Insane in the Brain”. Prince Fatty ist einer, der die klassischen, jamaikanischen Dub-Merkmale mit Präzision,Geschick und viel Liebe zum Thema in die heutige Zeit geholt hat. Dass er aber noch zu ganz anderen Großtaten am Rande des Dub fähig ist, beweist die grandiose Kollaboration mit dem ebenfalls in London beheimateten postmodernen Jazz-Kollektiv Nostalgia 77 rund um Produzentengenie Benedic Lamdin.
Der daraus resultierende Release “In the Kingdom of Dub” (2014) ist ein wahres Crossover-Wunder: Funky Jazz wird hier veredelt durch sparsam eingesetzte, aber unglaublich wirkungsvolle Hall-Fahnen. Schimmernde E-Piano-Läufe wechseln sich ab mit grell aufblitzenden Bläsersätzen und kurzen, rauchigen Klangtupfern eines Tenorsaxophons; dazwischen locken immer wieder ganz bewusst eingesetzte Ruhepunkte, bevor der Cosmic Jazz-Train wieder Fahrt aufnimmt in die nächste Echokammer. Stellenweise erinnert das sogar an diverse Releases auf Brainfeeder, dem Label des ingeniösen Alice Coltrane-Enkels Flying Lotus.
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Damit wieder einmal zu dem wahnsinnigen Universalgenie Lee “Scratch” Perry. Dessen “neuere” Karriere ist zugegebenermassen recht... gewöhnungsbedürftig; viele meiner Kollegen wie der hochgeschätzte René Wynands, der das für Fans unverzichtbare Dubblog betreibt, stehen sogar auf dem Standpunkt, Perry habe seit den 1980er-Jahren nichts mehr wirklich hörenswertes herausgebracht. Natürlich ist Perry als “Sänger” eine Zumutung und man vermisst seine geniale Produzententätigkeit früherer Zeiten immer wieder schmerzlich; wenn sich der über 80-Jährige aber in die richtigen Hände begibt, kann daraus aber durchaus auch noch heute ein richtiges Juwel entstehen.
Ich beziehe mich hier speziell auf ein “Randprodukt” namens “The Orb Featuring Lee Scratch Perry: Present The Orbserver In The Star House” aus dem Jahr 2012: Die beiden Electronica-Legenden Alex Patterson und Thomas Fehlmann haben darauf das Experiment gewagt, mit der Dub-Legende eine gemeinsame Platte aufzunehmen. Sie gehen dabei extrem klug vor und verwenden Perry nur als Samplequelle, um die herum sie die von The Orb gewohnten trancigen Beats gebaut haben. Während Wynands urteilt: “Die elektronischen Orb-Beats und Perrys scharfer, weitgehend melodiefreier Gesang harmonieren wie Apfelkuchen und Tabasco – nämlich gar nicht” ³, halte ich es eher mit Rick Anderson von allmusic.com: “The approach is dubwise, but the result is unique -- it simultaneously pushes familiar musical buttons and sounds like nothing else that has come before. Listening to this album is a bit like eating comfort food from an alien planet”. ⁴
Meiner bescheidenen Meinung nach ist das Resultat dieser Kollaboration einfach unwiderstehlich. Thomas Fehlmann hat ja das gottgegebene Talent, elektronische Songs mit absolutem Suchtfaktor zu basteln (man denke nur an “Honigpumpe”) und so ist man selbst bei so banalen Weisheiten Perrys wie “If you're thirsty, drink some water” irgendwie ergriffen, weil die Musik dazu einfach so wunderbar herzlich swingt! The Orb selber scheinen sich des Endresultats allerdings auch nicht ganz sicher gewesen zu sein, da sie bald darauf eine weitere Version des Albums herausgebracht haben, auf dem auch sämtliche Tracks auch als Instrumentalversionen enthalten waren. Das finde ich unnötig, weil hier einfach etwas fehlt (Perrys Gebrabbel nämlich) aber dafür finden sich auf der “In Dub”-Version wiederum tatsächlich auch sehr schöne Dub-Remixes von Deadbeat und Mad Professor.
Ein Artikel in der Zeitschrift Electronic Sound über das unter älteren Geeks immerdar beliebte Thema “Space Music”, also die Beeinflussung diverser Musikstile durch Science Fiction, hat mich in meiner Fantasie plötzlich an einen wunderbaren Ort versetzt: Nach Rimini!
Es ist ein heisser Sommer in Italien im Jahr 1980, ungezählte schwabbelige, weiße Bäuche und Busen aus Deutschland und Österreich quetschen sich wie Sardinen auf den Liegestühlen am Sandstrand, es riecht nach Salz und billigem Sonnenöl. Überall schmilzt und tropft Softeis, aus kleinen Radiolautsprechern und in den Kopfhörern der quietschbunten Walkmans plärren Songs über unsterbliche Amore. Die Jugendlichen haben sich in die Spielhalle verzogen, dort wird eifrig an diversen Automaten Space Invaders, Asteroids, Defender oder Pac Man gedaddelt. Und am Abend, wenn die ältere Generation dann ihren Sonnenbrand mit Spaghetti und viel billigem Rotwein kühlt, trifft man sich in einer der vielen Discotheken zum Tanz und zum Verlieben.
In Rimini wird in diesem Jahr tatsächlich Dancefloor-Geschichte geschrieben. Ein neuer Style ist am Entstehen, und das schwitzende Kind wurde auch schon getauft: “Cosmic Disco”; ein hochtrabender Begriff, der zeigen soll, wie ernst junge, erfolgshungrige Discjockeys wie Daniele Baldelli, Beppe Loda, DJ Mozart oder DJ Rubens ihr Metier nehmen. Hier werden nicht die neuesten Discohits aus Amerika abgenudelt. Im Gegenteil: “Eines der wichtigsten Elemente dieses Old-School-Cosmic war der Gedanke der Komposition im Sinne der klassischen E-Musik. Damals erarbeiteten die DJs für jeden ihrer Auftritte eigene einstündige Kompositionen, die ähnlich wie in der klassischen Komposition ein Opening, Steigerungen, Höhepunkte und ein Finale enthielten. Die „Instrumente“ waren dabei Sound-Versatzstücke, das Auflegen eher ein „Komponieren“ im Vergleich zum heutigen Recycling eigener Re-Mixes.” ¹
Daniele Baldelli in seiner "Cosmic DJ Booth", 1980
Die stilistischen Elemente sind vielfältig - von (Afro-)Funk, Soul und US-Disco über Electronica, Krautrock, Jazz und sogar klassischer Musik wird alles verwurstet, was nur einigermassen groovy zu machen ist. Interessant an "Cosmic Disco" finde ich aber vor allem die unglaubliche Langsamkeit: Mehr als 90 -100 Beats per Minute sind einfach nicht drin, das ist noch gemütlicher als House. Aber nicht nur deswegen gilt dieser Stil heute schon als Outsider Music. Es mag auch daran liegen, das die “Kunst” aus Cosmic Disco sehr schnell wieder verschwand, und dem üblichen Motto aller Discotheken an diversen Ferienorten, “Feiern, Tanzen, Saufen”, Platz machen musste. So blieb der Siegszug in Richtung ganze Welt und dann auch Universum irgendwo zwischen Norditalien und Südtirol stecken und wich schnell dem viel prosaischeren Italo House.
Erschwerend kam noch hinzu, daß damals im Rest Europas plötzlich alles an tanzbarer Musik ebenfalls kurzfristig irgendwie zu “Space” wurde. “Space Disco” ist zwar als eigener Stil schwer festzumachen, als Einfluß auf unzählige, damalige Produktionen von Ganymed bis Boney M. aber essentiell. So ist Cosmic Disco also heute eine Nische, nach der man aktiv suchen muß. Hin und wieder findet man Daniele Baldelli als DJ auf diversen Groß-Events; und wenn der Altmeister einen guten Tag hat, groovt er immer noch sehr kosmisch, auch wenn das anwesende Publikum nicht so recht zu wissen scheinen, ob man sich bei dieser immer noch konsequent langsamen Musik auch bewegen soll, oder doch lieber ein Bier trinken gehen.
DJ-Set von Daniele Baldelli, umrahmt von zwei italienischen Grazien.
Zum Abschluß noch ein Disclaimer in eigener Sache: So einen Urlaub in Rimini habe ich nie selber erlebt - unsere damals streng katholische, strikt auf Sparsamkeit ausgerichtete Familie fuhr immer nach Kroatien, in damals noch touristisch kaum erschlossene Ferienorte. Statt Sandstrand, Softeis, Comics vom Kiosk, Spielhallen und Discos mit hübschen Mädchen in die man sich unsterblich verlieben konnte gab es bei dort nur sterbenslangweilige Fischerorte mit alten Frauen, die versonnen ihr Spinnrad betätigten. Und spitze Steine, Spinnen, Skorpione und Fischgerichte mit viel Gräten. Vermutlich werde ich wegen dieser Sehnsucht nach verpassten Gelegenheiten meiner Jugend noch immer vollkommen manisch, wenn ich nur die Titelmelodie von Captain Future höre.
Als zu Beginn der 1980er-Jahre der MIDI-Standard¹ eingeführt wurde, war der Jubel von Musikern und Produzenten grenzenlos. Endlich konnte man komponieren, ohne sich um eine echte “Band” oder gar ein “Orchester” kümmern zu müssen. Diese Reaktion ist vollkommen verständlich, da der Einzug der digitalen Technologie ökonomische Unabhängigkeit und grenzenlose Kreativität versprach.
Andererseits fragt man sich heute, ob damals die gesamte Musikindustrie vor Begeisterung auf ihren Ohren gesessen ist: Die digitalen Sounds sind natürlich nicht der geringste Ersatz für “echte” Instrumente, auch wenn man das damals geglaubt zu haben scheint.
Als Beispiel möge man sich hier einen kurzen Auschnitt von Frank Zappas posthum veröffentlichtem Doppelalbum “Civilization Phaze III” gönnen. Der geniale Performer und Komponist hatte zwar 1986 mit “Jazz from Hell” wirklich originelle Sounds aus seinem unleistbar teurem Synclavier herausgeholt, in den darauffolgenden Jahren jedoch auch kaum anzuhörende “Midi-Opern” komponiert. Heutzutage klingt das auch kaum mehr nach Zappa, sondern (wie viele andere Musikstücke aus jener Zeit, die digitale Technologien benutzten), eher nach einem Soundtrack zu einem 8-Bit-Videospiel.
Auch in Jamaika war es ab Mitte der 1980er-Jahre vorbei mit analog produziertem Dub. Die originellen Releases von Hopeton Overton Brown unter dem Namen “Scientist” markieren hier Höhepunkt und zugleich auch Endpunkt der Zeit der grossen Dub-Produzenten aus Kingston. Mit Dancehall wurde damals ein Musikstil populär, der den Fokus eher auf Vocals und die Performance des MCs legte als auf die Musik.
Gleichzeitig hatten auf der Insel ebenso Drumcomputer und digitale Soundbibliotheken Einzug gehalten, die es möglich machten, diverse Tracks in großer Geschwindigkeit ohne die legendären “Hausbands” unter das Volk zu werfen. Aus den dünnen neuen Sounds entstand dann auch gleich eine neue Spielart des Dub, die ich bis heute schlicht unanhörbar finde: der sogenannte Digidub.
Nicht, daß ich gegen elektronische Sounds im Dub wäre, im Gegenteil; aber wenn statt der wuchtigen Drums und Bässe dünne Digitalsounds aus den Boxen fiepen - da mag das Soundsystem noch so groß und laut sein wie es will, Stimmung will da keine aufkommen.
Aber: Dub hat eine Eigenschaft, die ihn zu den ganz grossen, wichtigen Musikstilen des 20. Jahrhunderts gemacht hat - er hat die Fähigkeit, andere Musik zu durchdringen und nachhaltig zu beeinflussen. Als das “Mutterland” sich in den 1980er-Jahren vom Dub ab- und anderen Spielarten des Reggae zuwandte, war durch die Migration vieler Jamaikaner nach England dort längst eine eigenständige Reggae-Szene entstanden, und das betraf natürlich auch den Dub. Von Jah Shaka bis zu Adrian Sherwood, das Uk Dub-Thema ist zu riesig, um in ein paar Nebensätzen abgehandelt zu werden. Für diesmal soll die Anerkennung genügen, daß der Dub abseits seiner jamaikanischen Roots in Großbritannien erst so richtig aufzublühen begann, und seine verhallte Saat danach in alle Ecken und Winkel der Musik und der Welt ausstreute.
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Im folgenden ein paar prägnante Beispiele für Dub, der sich in die Populärmusik der vergangenen Jahrzehnte perfekt integriert und sie auf eine neue Stufe gehoben hat. Am besten demonstriert man das anhand von Sly Dunbar und Robbie Shakespeare, jenem legendären Gespann, das schon seit Urzeiten den Dub mit seinen zwei wichtigsten Elementen versorgt hat, Bass und Schlagzeug. Bei Sly & Robbie (aka “The Riddim Twins“) schnurrte diese Kombination immer schon wie eine perfekt geölte Nähmaschine und verwuchs so zu einer untrennbaren Einheit, die man quasi in fast jeden Musikstil importieren konnte.
Sly & Robbie haben mit allen Pop-Größen der Welt auf der Bühne und im Studio gespielt: Bob Dylan, Mick Jagger, The Rolling Stones, Joe Cocker, Serge Gainsbourg, Simply Red, Sting, Carlos Santana, Sinéad O'Connor (nur eine kleine Auswahl), sie haben Welthits produziert (“Hey Baby” von No Doubt, diverse Songs für Britney Spears oder sogar für Paul McCartney) und sie haben durch ihre spezielles Spiel so manchen Pop-Release auf einer andere Stufe gestemmt und zu Kult gemacht, z.b. als Rhythmusgruppe der schillerndsten Diva von allen, Grace Jones.
Unglaublich faszinierend sind Sly & Robbie im Jazz-Kontext. Die Supergroup des norwegischen Trompeters Nils Petter Molvaer mit den beiden Herren ist so ziemlich das aufregendste, was man seit langer Zeit in diesem Genre gehört hat; hier darf man sogar Vergleiche ziehen zu den wilden Bands von Miles Davis in seiner “elektrischen” Phase in den 1970er-Jahren.
Dieses unglaublich tighte Reggae-Gespann ist allerdings leider auch für ziemlich geschmacklose Releases verantwortlich - immer wenn die beiden Grammy-Gewinner auf der Welle des Erfolgs schwammen, versuchten sie natürlich, diesen auch mit diversen Werken unter ihrem Namen weiter voranzutreiben. Hier zeigt sich eben auch, das Sly & Robbie nicht besonders geschmackssicher sind. Umso wichtiger ist es, daß sich die in Ehren ergrauten Riddim Twins in die Hände eines besonderen Produzenten begeben.
Das haben sie zum Beispiel einmal in den 1990er-Jahren getan; mit einem, der eigentlich mit Dub nicht soviel am Hut hatte, davon abgesehen aber allgemein als Genius anerkannt war: Howie B (Produzent u.a. von Björk, U2 oder Tricky) hat dann auch mit “Sly and Robbie drum & bass Strip to the Bone by Howie B” im Jahr 1999 meiner Meinung nach den Release abgeliefert, der Sly & Robbie als wichtige und ewig gültige Grösse am Dancefloor abseits des Dub-Genres etabliert hat, zwischen der andersweltlichen Abgehobenheit des Trip Hop und manisch tuckernden Disco-Stampfern. Und er hat den beiden Veteranen auch ein Element zurückgegeben, das in den Jahren der vielen Hit-Releases vielleicht ein wenig verloren ging: das jahrhundertealte afrikanische Erbe, ohne welches kein Reggae, kein Dub oder vielleicht auch überhaupt keine Pop-Musik überhaupt denkbar wäre.
KUNG FU! Kaum ein anderes Wort bringt die Augen eures Bloghosts so zum Leuchten wie dieses! Und das immer noch, nach so vielen Jahren. Die entsprechenden Filme, Videospiele und Comics begleiten mich schon mein Leben lang. Die Serie mit David Carradine. Der legendäre Song von Carl Douglas. Die Kultfilme mit Bruce Lee (oder wahlweise mit seinen Klonen Bruce Le, Bruce Li und wie sie alle hießen, alleine das ein unfaßbar geniales Thema ¹), “Die 36 Kammern der Shaolin” und alles andere von den grandiosen Shaw Brothers aus Hongkong. Mein ewiger Lieblingsfilm: “Die 7 goldenen Vampire” aus den britischen Hammer Studios. Und natürlich die ultimative Verneigung, “Kill Bill” von Quentin Tarantino, auf dessen oftmals angekündigten dritten Teil ich ja noch immer sehnsüchtig warte.
Den Kung Fu-Film als solches mag es nicht mehr geben, Spuren davon finden sich aber in jedem Action-Streifen, wie zum Beispiel in den ultrabrutalen Kämpfen in den indonesischen “The Raid”-Filmen. Comics gibt es natürlich auch, unzählige Ausgaben von “Lone Wolf and Cub”, Marvels “Master of Kung Fu” (welches ich sehr gerne in den neu aufgelegten digitalen Editionen lese) und die wunderschön gezeichneten Abenteuer von Danny Rand alias Iron Fist.
Die Kung Fu-Welle ist in den 1970er-Jahren übrigens auch in Jamaica unglaublich populär gewesen; die bitter arme Bevölkerung konnte sich mit den exotischen Underdogs aus Fernost unglaublich gut identifizieren. Wir wissen zum Beispiel, daß Lee “Scratch” Perry ein fanatischer Bruce Lee-Fan war, und sich 1975 (zum Glück für uns Verehrer) zu der legendären Schallplatte “Kung Fu meets the Dragon” inspirieren ließ.
Perry war nicht der einzige Kung Fu-begeisterte Reggae/Dub-Produzent. 2004 erschien eine wunderbare Trojan-Compilation mit dem Titel “Kung Fu! Reggae vs. The Martial Arts”, auf der sich nicht nur Lloyd Parks Reggaeversion von “Kung Fu Fighting” befindet, sondern auch so grandiose Nuggets wie “Hap Ki Do” von Big Youth, “Karate” von Dave & Ansel Collins und “Black Belt Jones” (The Upsetters), ein Tribut an den in den 1970ern immens populären Blacksploitation-Star Jim Kelly. Der Karatelehrer hatte 1973 eine Rolle in “Enter The Dragon”, bevor seine eigene Karriere im Jahr darauf in “Black Belt Jones” (dt. “Freie Fahrt ins Jenseits”) im Schmuddelkino begann.
“Kamikazi Dub” von Prince (King) Jammy wollen wir nicht vergessen - der Bezug zum Thema Kung Fu ist hier allerdings eher in so fantasievollen, reizend falsch geschriebenen Klischee-Titeln wie “Shoalin Temple”, oder “Oragami Black Belt” zu finden, während die Musik wahllos aus einer der unzähligen Dub-Sessions des Meisterproduzenten stammen dürfte. Das Cover wiederum entschädigt für alles.
2012 erschien ein weiterer wichtiger Release in diesem von mir so hochgeschätzten Sub-Sub-Genre, noch dazu von meinem Lieblingsproduzenten, Prince Fatty: "Prince Fatty vs The Drunken Gambler". Da gab es sogar eine richtig coole Story: "A true tale of betrayal and revenge. When Prince Fatty discovers
that his former master has indeed turned to the dark side, a broken
oath releases 10 fatal strikes of Sound System Specials. Only Prince Fatty can stop the Drunken Gambler's evil plan, but to do so, he
must first battle the deadly team of “Disco Monks” that will stop at
nothing in the service of their overlord.
No
mercy is shown as Daddy Horseman strikes the blood stained swords of
arch rivals and sworn enemies. Backed by the 'Supersized' assasins and
the Mutant Hi- Fi, each having their unique kung fu style and weapons in
an epic sound system battle lasting over 30 mins. Featuring Studio One
legend Winston Francis and George Dekker from the Pioneers as the
invincible Twins of Fury, Hollie Cook as the deadly Angel of Vengeance
and as special guest, the infamous Dennis Alcapone."²