Freitag, 19. Oktober 2018

Cosmic Disco.

Ein Artikel in der Zeitschrift Electronic Sound über das unter älteren Geeks immerdar beliebte Thema “Space Music”, also die Beeinflussung diverser Musikstile durch Science Fiction, hat mich in meiner Fantasie plötzlich an einen wunderbaren Ort versetzt: Nach Rimini!

Es ist ein heisser Sommer in Italien im Jahr 1980, ungezählte schwabbelige, weiße Bäuche und Busen aus Deutschland und Österreich quetschen sich wie Sardinen auf den Liegestühlen am Sandstrand, es riecht nach Salz und billigem Sonnenöl. Überall schmilzt und tropft Softeis, aus kleinen Radiolautsprechern und in den Kopfhörern der quietschbunten Walkmans plärren Songs über unsterbliche Amore. Die Jugendlichen haben sich in die Spielhalle verzogen, dort wird eifrig an diversen Automaten Space Invaders, Asteroids, Defender oder Pac Man gedaddelt. Und am Abend, wenn die ältere Generation dann ihren Sonnenbrand mit Spaghetti und viel billigem Rotwein kühlt, trifft man sich in einer der vielen Discotheken zum Tanz und zum Verlieben.


In Rimini wird in diesem Jahr tatsächlich Dancefloor-Geschichte geschrieben. Ein neuer Style ist am Entstehen, und das schwitzende Kind wurde auch schon getauft: “Cosmic Disco”; ein hochtrabender Begriff, der zeigen soll, wie ernst junge, erfolgshungrige Discjockeys wie Daniele Baldelli, Beppe Loda, DJ Mozart oder DJ Rubens ihr Metier nehmen. Hier werden nicht die neuesten Discohits aus Amerika abgenudelt. Im Gegenteil: “Eines der wichtigsten Elemente dieses Old-School-Cosmic war der Gedanke der Komposition im Sinne der klassischen E-Musik. Damals erarbeiteten die DJs für jeden ihrer Auftritte eigene einstündige Kompositionen, die ähnlich wie in der klassischen Komposition ein Opening, Steigerungen, Höhepunkte und ein Finale enthielten. Die „Instrumente“ waren dabei Sound-Versatzstücke, das Auflegen eher ein „Komponieren“ im Vergleich zum heutigen Recycling eigener Re-Mixes.” ¹

Daniele Baldelli in seiner "Cosmic DJ Booth", 1980
Die stilistischen Elemente sind vielfältig - von (Afro-)Funk, Soul und US-Disco über Electronica, Krautrock, Jazz und sogar klassischer Musik wird alles verwurstet, was nur einigermassen groovy zu machen ist. Interessant an "Cosmic Disco" finde ich aber vor allem die unglaubliche Langsamkeit: Mehr als 90 -100 Beats per Minute sind einfach nicht drin, das ist noch gemütlicher als House. Aber nicht nur deswegen gilt dieser Stil heute schon als Outsider Music. Es mag auch daran liegen, das die “Kunst” aus Cosmic Disco sehr schnell wieder verschwand, und dem üblichen Motto aller Discotheken an diversen Ferienorten, “Feiern, Tanzen, Saufen”, Platz machen musste. So blieb der Siegszug in Richtung ganze Welt und dann auch Universum irgendwo zwischen Norditalien und Südtirol stecken und wich schnell dem viel prosaischeren Italo House.


Erschwerend kam noch hinzu, daß damals im Rest Europas plötzlich alles an tanzbarer Musik ebenfalls kurzfristig irgendwie zu “Space” wurde. “Space Disco” ist zwar als eigener Stil schwer festzumachen, als Einfluß auf unzählige, damalige Produktionen von Ganymed bis Boney M. aber essentiell. So ist Cosmic Disco also heute eine Nische, nach der man aktiv suchen muß. Hin und wieder findet man Daniele Baldelli als DJ auf diversen Groß-Events; und wenn der Altmeister einen guten Tag hat, groovt er immer noch sehr kosmisch, auch wenn das anwesende Publikum nicht so recht zu wissen scheinen, ob man sich bei dieser immer noch konsequent langsamen Musik auch bewegen soll, oder doch lieber ein Bier trinken gehen.

  DJ-Set von Daniele Baldelli, umrahmt von zwei italienischen Grazien.

Zum Abschluß noch ein Disclaimer in eigener Sache: So einen Urlaub in Rimini habe ich nie selber erlebt - unsere damals streng katholische, strikt auf Sparsamkeit ausgerichtete Familie fuhr immer nach Kroatien, in damals noch touristisch kaum erschlossene Ferienorte. Statt Sandstrand, Softeis, Comics vom Kiosk, Spielhallen und Discos mit hübschen Mädchen in die man sich unsterblich verlieben konnte gab es bei dort nur sterbenslangweilige Fischerorte mit alten Frauen, die versonnen ihr Spinnrad betätigten. Und spitze Steine, Spinnen, Skorpione und Fischgerichte mit viel Gräten. Vermutlich werde ich wegen dieser Sehnsucht nach verpassten Gelegenheiten meiner Jugend noch immer vollkommen manisch, wenn ich nur die Titelmelodie von Captain Future höre.


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   Daniele Baldelli auf Mixcloud.

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